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Pressemitteilung vom 10.08.2023    

"Ein Flügelschlag im Klammergriff": Ausstellung "surplus" von Dan Dryer im Kunstverein Linz eröffnet

Die Einladung zur neuen Ausstellung im Kunstverein Linz am Rhein war offenbar äußerst zugkräftig: Die Räumlichkeiten in Markt 9 waren kürzlich gut mit Besuchern gefüllt. Was sie zu sehen bekamen, waren Installationen aus gelben und roten Stahlstützen, verschieden bearbeiteten Aluminiumblechen, Elektrokabeln und Dämmmatten.

Einführung in die Ausstellung durch Kunsthistorikerin Jari Ortwig (von links: Norbert Boden, Jari Ortwig, Jörg Koslowski, Astrid Piethan) (Fotos: Ines Lang)

Linz am Rhein. Und es waberten Geräusche durch den Raum, die an Vogelgezwitscher erinnerten. Manch ein Betrachter war sich nicht so recht sicher, welche Aussage das Künstlerduo Dan Dryer - Astrid Piethan und Jörg Koslowski - damit treffen wollte.
Hier schaffte Jari Ortwig Abhilfe mit ihrer Einführung in die Ausstellung. Nach einer kurzen Begrüßung der Anwesenden und einigen einleitenden Worten zum Werdegang der Künstler seitens des Kunstvereins nahm die Kunsthistorikerin die Gäste mit in den Entstehungsprozess der Exponate und beleuchtete die Assoziationskette, der das Künstlerduo gefolgt war. Es sei dessen Absicht in all seinem Schaffen seit 20 Jahren, Erfahrungsräume und Raumerfahrungen zu öffnen, die von Verschiebungen, Unschärfen, Gegensätze und Irritationen geprägt seien.

So würden zum Beispiel in der aktuellen Ausstellung die Stahlstangen in den Signalfarben rot und gelb sowie das stabile Dämmmaterial auf Prozesse der Nukleartechnologie hinweisen - Prozesse kontrollierter Zufallsreaktionen. Die Abläufe in einem Kernreaktor hätten die beiden assoziativ weitergedacht und in eine skulpturale Bildsprache übertragen. Dabei hätten sie das Paradoxe der Energiegewinnung durch Atomkernspaltung aufgegriffen - zum einen sei sie eine machtvolle Ressource, zum anderen eine Quelle höchster Gefahr, die in keinem Verhältnis zur Nutzung dieser Technologie stünde.

Die Diskrepanz des Menschseins
Doch die Künstler hätten die Gedanken noch weitergesponnen: Erinnerte ein Kernreaktor nicht an einen Käfig? Um genau zu sein, an einen Vogelkäfig? In einem solchen Käfig würde im übertragenen Sinne die Diskrepanz des Menschseins spürbar: der Freiheitsdrang bei gleichzeitiger Erfahrung der eigenen Begrenztheit. Dies sei die Erklärung für die Vogelstimmen und die Geräusche von Flügelschlagen im Raum.

Doch diese Klangkulisse sei trügerisch. Hätte man zu Beginn den Eindruck, sich in einem offenen Raum voller Lebendigkeit zu befinden, so würde man im nächsten Augenblick eher spüren, wie sich der Raum schließe. Grund dafür sei, dass das Vogelgezwitscher nicht ganz natürlich klinge. Es seien Auszüge aus dem Werk "Bird Cage" des Fluxuskünstlers und Musikers John Cage aus dem Jahr 1972. Die Vogelstimmen seien durch verschiedene Spuren und Scores komponiert worden. Letztlich sei auch das eine von Menschen kontrollierte, synthetische Struktur.

Und weiter in den Assoziationen, ausgehend vom Spiegel, der oft in Vogelkäfigen hänge, damit der Vogel sich durch die Betrachtung seines Spiegelbildes nicht so einsam fühle: Ein Spiegel werde zum eingebildeten Gegenüber, das einem vorgaukele, man sei nicht allein und wäre nicht eingeengt.

Symmetrien suchen und brechen
Jari Ortwig verwies auf das Aluminium, das Dan Dryer in ihrer Rauminstallation eingesetzt hätten. Immer wieder würden durch die unterschiedliche Bearbeitung des Materials Symmetrien gesucht und gebrochen. Dadurch werde das Bild der Realität verzerrt und fragmentiert. Ein klares Spiegelbild würde man vergeblich suchen. Dem Betrachter könne dies eventuell den Eindruck vermitteln, mit seiner Umgebung nicht in Kontakt treten zu können oder gar von der kühlen Härte der technoiden Oberflächen zurückgewiesen zu werden.



Doch an manchen Stellen wirke es, als könne diese scheinbare Ausweglosigkeit aufgelöst werden durch die weiche Eigenschaft des Aluminiums, dass es sich vielfältig bearbeiten lasse. Dadurch entstünden ganz unterschiedliche Reflexionen auf dem Material. Doch auch hier fände sich die Ambivalenz der Aspekte "kontrollierte Führung" und "Zufallsreaktion" wieder, wie schon bei den atomaren Prozessen und der Vogelstimmenkomposition. Und auch das Paradoxe - gewaltsamer Stoß und zärtliche Faltung, Kraft und Fragilität - sei hier erkennbar. Jari Ortwig fand dafür die poetischen Worte "Ein Flügelschlag im Klammergriff".

Auch auf die Rolle des verwendeten Dämmmaterials ging sie im Weiteren ein. So suggeriere es zwar im ersten Moment Schutz, doch dieser Eindruck würde kippen, wenn man sich bewusst mache, dass es sämtlichen Schall, also alle Merkmale des Lebendigen schlucke und tilge. Das könne Beklemmung bei den Betrachtern auslösen. Diese würden, wenn sie im Raum nach Anzeichen von Leben suchen würden, womöglich kurze Erleichterung verspüren beim Anblick der lose liegenden oder hängenden, locker formierten Elektrokabel, die nicht der Strenge der anderen Teile der Installation unterliegen würden. Und doch seien es elektrische Leiter aus Kunststoff und Metall.

Eigenleben der industriellen Elemente
Die Kunsthistorikerin fasste zusammen, dass das gezeigte Werk von Dan Dryer keinerlei natürliche Stoffe und Strukturen beinhalte. Die industriellen Elemente, die Menschen zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen geschaffen hätten, schienen nunmehr ein Eigenleben zu führen, in dem menschliche Bedürfnisse keinen Platz mehr finden könnten.

Hier schlug sie den Bogen zum Ausstellungstitel "surplus". Der Begriff bedeute "Überschuss". In diesem Fall der Überschuss, von dem sich der Mensch Wohlstand, Wohlbefinden und Freiheit verspreche, sich aber letztlich selbst darin einzubauen drohe und somit seine eigenen Lebensbedingungen konterkariere. Nachdem sie am Ende ihres Beitrags den Gästen einen Abend mit interessanten, womöglich auch kritischen Gesprächen gewünscht hatte, bedankte sich der Vorsitzende des Kunstvereins, Norbert Boden für ihre Erläuterungen.

Kunstinteressierte können sich die Ausstellung bis zum Samstag, 26. August, zu den regulären Öffnungszeiten in den Räumlichkeiten Marktplatz 9 in Linz am Rhein anschauen (Freitag: 16 bis 18 Uhr, Samstag, Sonntag: 14 bis 18 Uhr). Die Finissage findet am Sonntag, 27. August, um 14 Uhr statt. Zu diesem Anlass wird es ein Künstlergespräch mit Dan Dryer geben. (PM)


Mehr dazu:   Veranstaltungsrückblicke  
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