Werbung

Nachricht vom 02.04.2018    

Buchtipp: Wissenswege als Kulturbrücken

Die momentane Kulturkrise zwischen Europa und der arabisch-islamischen Welt könnte durch eine Wiederaufnahme des europäisch-arabischen Kulturaustausches beendet werden, dafür werben Mamoun Fansa und Detlev Quintern, die aufzeigen, wie die Wissenschaften im Islam (8. bis 16. Jahrhundert) die auf die kulturelle Entwicklung des Abendlandes einst positiven Einfluss nahmen.

Foto: Verlag

Region. Die beiden Autoren betonen: „Die Betrachtung der Entwicklung der arabisch-islamischen Kultur und ihrer Verbindung nach Europa darf nicht nur auf die religiöse Ebene beschränkt bleiben, sondern die Gesamtheit dieser Kultur und ihr Einfluss auf die Menschheitsentwicklung, insbesondere auf das Europa in der Zeit vom 8. bis 16. Jahrhundert, ist beachtlich und muss Gegenstand der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion werden.“ Nur auf der Basis des Wissens um die Schnittpunkte könne eine dauerhafte Verständigung auch zwischen den beiden religiösen Sphären möglich sein.

Die Wege der Wissenschaft aus dem Orient nach Europa sind verschlungen und weit zurückreichend. Bereits das antike Griechenland profitierte von mathematischen und astronomischen Kenntnissen der Ägypter und Babylonier. Ab der Mitte des 8. Jahrhunderts förderten die abbasidischen Kalifen wissenschaftliche Forschungen. Es bestand im islamischen Reich eine große Vielfalt an Völkern, Sprachen und Kulturen. Ihre Vertreter waren Christen, Juden, Sabier, Zoroastrier. Nach der islamischen Eroberung Spaniens entwickelte sich Cordoba durch eine geschickte Steuerpolitik und umfassende Verwaltungsmaßnahmen zu einem lebendigen Wirtschafts- und Kulturzentrum.

Nach dem Ende der Staufferherrschaft gründeten sich toskanische Universitäten, die sich intensiv mit Naturforschung, Medizin, historischen, theologischen und philosophischen Themen befassten. Die Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert erleichterte Erforschung und Verbreitung des Wissens, denn eine arabische Spruchweisheit lautet: „das Unglück der Wissenschaft ist die Vergessenheit.“ Anhand nur einiger Beispiele aus einzelnen Wissenschaften soll hier der kulturfördernde Anschub kurz angerissen werden.

Eine frühe Aufklärung ging im 8. Jahrhundert von Bagdad aus durch die Enzyklopädie des Autoren-Kollektivs „Ihwan as-Safa“ (Die aufrechten Geschwister) und fand ihren Eingang in französische Wissenschaften. Astronomie und Mathematik wurden von Arabern begründet, Alexander von Humboldt bezeichnete die Araber als Begründer der Physik. Sie legten Grundlagen für die moderne Optik, durch die Kepler Mikroskop und Teleskop erfinden konnte. Die mechanischen Kenntnisse der Araber führten zur Entwicklung der Pendeluhr. An allen italienischen und französischen Universitäten wurden vom 12. Bis 17. Jahrhundert aus den medizinischen Lehrbüchern von Ibn Sina gelehrt. Dass die europäische Zivilisation im Zeitalter der Kreuzzüge von dem Kontakt mit der arabisch-islamischen Kultur sehr profitiert hat, ist sogar Stoff des Geschichtsunterrichts.

Übersetzungen arabischer Medizinbücher ins Lateinische – etwa „Qanun“ durch Gerhard von Cremona oder „Gami al-adwiya al mufrada“ durch Simon von Genua hatten großen Einfluss auf die akademische und sogar auf die einsetzende populäre Literatur. Sandsteinportraits aus dem Jahr 1612 an der Ratsapotheke in Lemgo stellen Hippokrates, Aristoteles, Dioskurides, Galen, Raimundus Lullus, Paracelsus sowie Rhases (ar-Razi) und Geber Arabs (Dshabir) im Bewusstsein der Einheit der Medizingeschichte dar, denn Ar-Razi vertrat eine ethisch-moralische Psychologie als Prävention.



Die arabisch-islamische Philosophie bildete nicht nur eine Brücke zwischen den Kulturen, sie stellte nach Bloch zugleich den Merk- und Wendepunkt in der Betrachtung und Entwicklung der antiken Philosophie dar. Ibn Arabi hinterließ ein umfangreiches Werk, das wesentlich um die „Einheit des Seins beziehungsweise der Existenz“ kreist, die „eine unaufhebbare Verbindung zwischen dem Sein Gottes und seiner Schöpfung annimmt“.

Humboldt zählt zu den Universalgelehrten der Aufklärung, welche die arabischen Beiträge zur Geschichte der Wissenschaften zu würdigen wusste. Das gilt insbesondere für die arabische Geschichte der Geo- und Kartografie, die lange vor Peter dem Großen Zentralasien genau erfasst hatte.

Zu dem herausragende Werken über politische Philosophie und Soziologie gehört „Die vorbildliche Stadt“ von Al-Farabi, der zu der Schlussfolgerung gelangt, dass ein vollkommener Staat die gesamte bewohnte Welt und damit die ganze Menschheit umfassen sollte und seinen Bürgern eine vollkommene Regierung auf Erden und Glückseligkeit nach dem Tode sichern sollte. Die ideale Stadt solle von einem oder zwei Herrschern regiert werden mit den Eigenschaften: hohe Intelligenz, Gerechtigkeitsliebe, Zielbewusstsein, sowie immer die Entschlossenheit, Gutes zu tun.

Abdurrahman Mohammed Ibn Khaldun, einer der bekanntesten Sozialwissenschaftler der arabisch-islamischen Kultur im Mittelalter, gilt als Begründer der Sozialwissenschaft. Er verfasste eine Geschichte der Welt in drei Bänden. Khaldun setzte voraus, dass zwischen dem Leben eines Staates und dem eines Menschen eine vollkommene Analogie besteht. Wie alle Lebewesen, werden Staaten geboren, sie wachsen und sterben und sind gewissen naturbedingten Entwicklungen unterworfen.

Arabisches Kunsthandwerk in Europa von den Omayyaden bis zum Ende des Mittelalters sowie die Theorie der Musik von al-Farabi sind ebenfalls Zeugnisse arabisch-islamischer Wissenschaften, die die europäische Kultur befruchteten. Ihr Auf- und Abstieg in der Geschichte infolge religiöser Streitigkeiten und der Abkehr vom Imperium mit Sitz in Konstantinopel, das Aufkommen und die rasche Verbreitung des Islams, stürzten das westliche Imperium in eine tiefe Toleranz- und Wissenskrise. Bereits der mit den Wefen verwandte Kastilier Alfons X. „der Weise“, entwickelte im 13. Jahrhundert eine Vision eines plurireligiösen und multikulturellen Europa, die dem Vatikan jedoch suspekt war. Albrecht Dürer schließlich, der „deutscheste aller deutschen Künstler“, profitierte in der Renaissance vom Wissen des Orients.

Versehen mit zahlreichen Quellenangaben und anschaulichen Buntbildern, animiert der Band den Leser, endlich wieder mit mehr Toleranz und positiver Erwartung an arabisch-islamische Erkenntnisse heran zu gehen. Das Buch ist erschienen im Verlag Nünnerich-Asmus, ISBN 978-3-961760-09-1 und kostet 24,90 Euro. htv


Feedback: Hinweise an die Redaktion


Anmeldung zum NR-Kurier Newsletter


Mit unserem kostenlosen Newsletter erhalten Sie täglich einen Überblick über die aktuellen Nachrichten aus dem Kreis Neuwied.

» zur Anmeldung



Aktuelle Artikel aus der Kultur


Gospel aus Harlem kommen nach Neuwied

Neuwied. Der renommierte Gospelkünstler Rev. Gregory M. Kelly, der bereits mit Legenden wie Stevie Wonder und Diana Ross ...

Biber Herrmann - "Last Exit Paradise"-Tour

Selters. Der legendäre Konzertveranstalter Fritz Rau, bekannt für seine Zusammenarbeit mit Größen wie den Rolling Stones ...

Ausstellung "Engers und die NS-Zeit" zieht viele Besucher an

Engers. Rund 120 Personen besuchten die Ton-Bild-Schau zur Ausstellung "Engers und die NS-Zeit" in der Kapelle des Heinrich-Hauses. ...

Musikalischer Abend mit "Stay Tuned" im Gasthaus "Zum Annemie"

Neuwied-Gladbach. Die neuen Betreiber des Restaurants "Zum Annemie" in Neuwied-Gladbach setzen die Tradition fort, das kulturelle ...

Mahlzeit! "Büro und Bekloppte" in Waldbreitbach

Waldbreitbach. Die bis vor kurzem in Köln lebende Künstlerin sieht im "Klüngeln" Vorteile. "Eine Hand wäscht die andere, ...

Buchtipp: "Raus aus dem Schlamassel" von Susanne Ihlow und Sabine Ramsperger

Dierdorf/Weyerbusch. Das Buch enthält 35 Kapitel Lebenserfahrung, ein Best-of der Themen, die die Coachees beschäftigen: ...

Weitere Artikel


Girls' Day bei der SGD Nord: Anmeldung bis 18. April möglich

Koblenz/Region. Die Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) Nord lädt zum diesjährigen „Girls' Day – Mädchen-Zukunftstag“ ...

Diamantene und Goldene Kommunion in Horhausen gefeiert

Horhausen. Diamantkommunion und ein fröhliches Wiedersehen nach 60 Jahren feierten in Horhausen rund 20 Jubilarinnen und ...

Horhausener „FrühlingsGlück“-Losaktion gestartet

Horhausen. Jetzt ist es wieder so weit: Seit dem 1. April bietet die Standortinitiative „Marktplatz“ Region Horhausen e.V. ...

SG Grenzbachtal/Wienau fährt drei Punkte ein

Mündersbach. Nachdem der Gast aus Staudt anfangs noch gut mithalten konnte, wurde die SG Grenzbachtal mit zunehmender Spieldauer ...

Jahreshauptversammlung des Linzer Männergesangvereins

Linz. Da die Kassenprüfung keinen Anlass zur Klage gab, wurde dem Vorstand einstimmig das Vertrauen ausgesprochen. Es folgten ...

Blutspende hilft Leukämiepatienten

Neuwied. Ziel ist es, vor allem junge Menschen zur Blutspende zu motivieren und sich als Stammzellspender für Leukämie- und ...

Werbung