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Nachricht vom 21.06.2016    

Hitler war da – ausgerechnet in Neuwied!

„Er ist wieder da“ nach dem überaus erfolgreichen Roman von Timur Vermes wurde als Einakter in der Bühnenfassung von Ulrich Cyran am Montag, 20. Juni in der Abtei Rommersdorf aufgeführt. Die beiden Schauspieler der Burgfestspiele Bad Vilbel brillierten in der grotesken Satire, die im Ambiente der Abtei noch zusätzlich an Skurrilität gewann.

Matthias Vogel spielt Hitler. Fotos: Helmi Tischler-Venter

Neuwied-Rommersdorf. Neuwied, die Stadt, die seit 354 Jahren die Freiheitsrechte verteidigt und lebt, kann es sich leisten, einen wiederauferstandenen Hitler zu präsentieren. Zumal seit vielen Jahren das Gast-Ensemble der Burgfestspiele Bad Vilbel in Rommersdorf Theater-Qualität liefert.

Der Debütroman des geschichtsbewussten Journalisten Timur Vermes, dessen Vater 1956 nach Niederschlagung des Volksaufstandes aus Ungarn geflohen war, war ein Bestseller und wurde verfilmt. Die naturgemäß zeitlich kürzere Bühnenversion treibt die Satire auf die Spitze. Das Stück zeigt den schlafenden Hitler, weiß gewandet, aber durch Frisur und Bärtchen sofort identifizierbar, dazu erschallt zunächst Andrea Bergs Schlager „Solange die Erde sich dreht, liebe ich dich“, dann erscheint Bundespräsident Joachim Gauck in einer Ansprache an sein Volk auf der Leinwand. Hitler erwacht und ruft nach Eva. Er begreift seine Umgebung nicht: keine Eva, kein Krieg, keine Ruinen, keine NSDAP mit Parteiapparat, dafür eine schwarz geschminkte und gewandete Sekretärin Vera Krömeier, die nicht „korrekt, mit dem deutschen Gruß“ grüßt.

Zunächst glaubt Hitler, die Situation des deutschen Reiches habe sich gebessert, weil viele Ruinen verschwunden und neuen Gebäuden gewichen sind. „das Volk hätte es eigentlich nicht mehr geben dürfen. Es war allerdings immer noch da. Ich war auch da, das irritierte mich am meisten.“ Dann erkennt er Anachronismen und ungenutzte Ressourcen: Deutschland wird von einer Frau regiert, die sich Kanzlerin nennt, ein Telefongerät vermengt die Kompetenzen gefährlich, Häuserwände sind von Schmutzfinken beschmiert. Es ist eine Kunstwährung namens Euro im Umlauf. Den „Völkischen Boten“ gibt es am Kiosk nicht mehr, dafür ein von ihm nicht genehmigtes buntes zeitungsähnliches Druckformat ohne jeden Informationswert namens „Media Markt. Die Propaganda-Möglichkeiten des Fernsehens werden von der Reichsregierung nicht genutzt, stattdessen zeigt ein Koch die Herstellung von Lauchringen. Hitlers Hassparolen bezüglich Zeitungen klingen bedrohlich gegenwärtig und von rechtsradikaler Seite neu aufgekocht: „Zeitungen – Da notiert der Schwerhörige, was der Blinde berichtet. Lügenpresse! Ein denkender Mensch müsste wahnsinnig werden angesichts so viel gedruckter Dummheit! Sogenannte Gelehrte behaupten seit über 60 Jahren, der Führer sei tot…“



Befriedigt erkennt Hitler vertraute Schrift in der FAZ, die das Datum 30. August 2016 trägt. Er ist fassungslos und ungläubig. Genau so reagiert seine Umwelt. Niemand glaubt ihm, dass er Adolf Hitler in Persona sei, sondern bewundert seine schauspielerische Leistung und Authentizität: „Ihr Name?“ – „Hitler, Adolf.“ – „Nein, ihr richtiger Name?“ – „Hitler, Adolf.“ – „Witzig.“ – „Witzig?“ – „Sie sehen so aus wie sie heißen.“ Ein Verlag bietet ihm für ein neues Buch, - „keine Comedy, die Wahrheit!“ - 30.000 Euro Vorschuss plus 20 Prozent Verkaufsbeteiligung. Hitler verlangt das Doppelte und erhält eine Zusage. Die Bild-Zeitung titelt „Er ist wieder da!“ Da sein Name verboten ist, erhält der Führer die E-Mail-Adresse „Neue Reichskanzlei“. „Det is knorke!“

Bellini will eine Fernsehshow mit Hitler produzieren. Er tritt in der Ali Wizgür Show auf. Sätze wie: „Das Verhältnis des Polen zum Eigentum ist nachhaltig gestört.“ Oder: „Der Deutsche der Gegenwart trennt seinen Müll gründlicher als seine Rassen.“, stehlen dem rappenden Showmaster Wizgür die Show und überschreiten bei Youtube 700.000 Clicks. Daher soll der neue Star neue Sachen produzieren: „Die Marke Hitler! Das senden wir Neujahr! Auf den Führer!“ Dieser Hitler macht keine Comedy, er ist erschreckend real und meint es ernst. Das Land, das neue Deutschland, in dem er wiedererwacht ist, bewundert ihn, folgt ihm, feiert den Demagogen. Die Demokratie verliert den Wettbewerb gegen Quoten.

Schließlich eskaliert der Hitler-Kult: Zunächst titelt die Zeitung „Der Nazi-Komiker und die Horror-Braut“, am nächsten Tag: „Unser gewitztester Komiker seit Loriot wurde von Neo-Nazis zusammengeschlagen, das geht zu weit!“ Im Rollstuhl umherkurvend erkennt der geschlagene größte Führer aller Zeiten propaganda-pragmatisch: „Damit kann man arbeiten!“

Die schauspielerische Leistung von Matthias Vogel, der Stimme und Sprachstil genau an sein Vorbild anpasste, vor keinem Führer-typischen Exzess zurückschreckte und sogar mit nacktem Unterkörper wahnhaft agierte, war bewundernswert. Seine Partnerin Sophia Carla Brocker verkörperte minutenschnell ganz verschiedene Protagonisten. Das reduzierte Bühnenbild und die rein weißen kubistischen Requisiten lenkten nicht von den schauspielerischen Leistungen ab. htv



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