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Nachricht vom 25.03.2015    

Veranstaltungen zum Gedenken an den 25. März 1945 in Dierdorf

In einer kommunal-ökumenischen Gedenkfeier am Denkmal auf dem Rockenfeller Platz gedachte die Stadt Dierdorf ihrer Opfer des Bombenangriffs vom 25. März 1945. Mindestens hundert Menschen mehrerer Generationen nahmen teil. Beim anschließenden Gespräch mit Zeitzeugen war der Festraum der Stadt überfüllt.

Bürgermeister Vis bei seiner Gedächtnisrede am Rockenfeller Platz. Fotos: Helmi Tischler-Venter.

Dierdorf. Am Rockenfeller Platz erinnerte Stadtbürgermeister Thomas Vis an das folgenschwere Bombardement der kleinen Westerwaldgemeinde vor 70 Jahren. Eine Situation, die kaum vorstellbar sei für heutige Generationen, die in Frieden und Freiheit aufgewachsen sind. Kaum vorstellbar sei auch die Angst der Bevölkerung gewesen bei und nach diesem Angriff, nachdem nichts mehr so war wie vorher. Auch die gewachsene Stadtstruktur ging verloren. Wenn man nach 70 Jahren der schrecklichen Geschehnisse gedenke, dürfe man nicht die Vorgeschichte vergessen: „Deutschland hatte den Krieg mit allen seinen Folgen entfesselt. Nach 1945 entstand ein anderes Deutschland. Aber die Welt um uns herum ist nicht viel friedlicher geworden.“

Mit Paul Gerhardts Lied „Befiehl du deine Wege“ leitete der Posaunenchor der evangelischen Kirchengemeinde die kirchliche Gedenkfeier ein. Der katholische Pfarrer Thomas Corsten zitierte den Klage- und Bittpsalm. Sein protestantischer Kollege Martin Seidler stellte die Erinnerungen in den Mittelpunkt, die die Menschen zusammengeführt haben. Erinnerungen wollen Betroffenheit auslösen und helfen, Alltag und Leben zu bestehen. Erinnerungen haben mit Versöhnung zu tun. Die Schuldfrage sei nach Kriegsende gerne verdrängt worden. Seidler zitierte eine inzwischen verstorbenen Zeitzeugen: „Das alles kann nicht ungeschehen machen, es ist unumkehrbar. Mein Gott, war das furchtbar!“ Der Pfarrer mahnte, die Erinnerung solle im kollektiven Gedächtnis verankert bleiben. „Das sind wir den Opfern schuldig!“ Zum Schluss zitierten die Anwesenden gemeinsam die Versöhnungslitanei aus Coventry.

In die Alte Schule hatte der Kulturkreis Dierdorf zum zweiten Teil der Gedenkveranstaltung eingeladen. Unter den vielen Gästen konnte Karl-August Heib auch Prinz Metfried zu Wied begrüßen. Verbandsbürgermeister Horst Rasbach sprang kurzfristig als Ersatz-Videofilmer ein, damit das Zeitzeugendokument überliefert werden kann.

Zehn Zeitzeugen waren zum Teil von weither angereist, um ihre Erinnerungen an den verhängnisvollsten Tag in der Geschichte Dierdorfs zu schildern. Moderatorin Angela Göbler entlockte mit viel Einfühlungsvermögen persönliche und emotionale Aussagen, die die Zuhörer mal belustigten, mal betroffen machten.

So erinnerte sich der jetzt 83-jährige Kurt Pistorius, dass in der Nacht riesige Truppenbewegungen stattgefunden hatten, das Feldlazarett war geräumt worden. Sonntagsmorgens herrschte wunderschönes Wetter. Dadurch konnte man die Bombenabwürfe genau sehen. Die Bomber hätten von Wienau kommend über Giershofen gedreht und dann an der Bahnstrecke gebombt. Danach war das Dach des Elternhauses weg.

Herwig Knuth ergänzte, das Bombardement sei direkt nach dem Gottesdienst losgegangen. Er habe immer ein Rummsen vernommen, wenn eine Bombe herunter kam. Lächelnd erinnerte er sich, dass nach dem Bombenangriff zwei Schafe, die auf der Wiese angebunden gewesen waren, in der kaputten Küche standen. „Als alles vorbei war, sahen wir einen großen Panzer stehen mit amerikanischen Soldaten. Wir waren wie erlöst: Alles war vorbei.“

Otto Küppenbender wurde beim Grammophon hören vom Angriff überrascht. Er wusste noch genau, dass seine Mutter zu ihm sagte: „Guck mal, die bekloppten Vögel, wie dicht die unter den Flugzeugen fliegen.“ Die Vögel entpuppten sich als Bomben.

Für Ilse Buresch bleibt der von den Bomben verursachte ungeheure Luftdruck, der ihr Schwesterchen zurückwarf, für immer im Gedächtnis haften. Sie sieht auch noch immer das alte Ehepaar Breitkreuz auf dem holprigen Weg und im Hintergrund das brennende Dierdorf.

Christa Zimmerschied hatte ihre beklemmenden Erlebnisse aufgeschrieben. Das Dokument wurde von Angela Göbler vorgelesen. Sofort waren die Erinnerungen und Emotionen bei der Autorin so präsent, als sei alles erst vorgestern geschehen. Sie meinte: „Wir Kinder konnten nicht verstehen, was da passierte.“



Christa Oppenheimer, eine der jüngsten Zeitzeugen, kann sich nicht an einen Fliegeralarm erinnern. Die Flieger waren auf einmal da und warfen Bomben. Ihr Bruder schubste Christa in den Keller des Hauses. Christa Oppenheimer überlebte in den Trümmern, während ihr Bruder darin umkam. Die Familie ging zum Rother Hof, um sich um die Kühe zu kümmern. Am nächsten Tag kamen die Amerikaner auf den Hof. Ein Farbiger – die Mutter sagte: „Ein Neger“ – stand auf dem Jeep, er hatte eine runde Tafel Schokolade in der Hand. Angesichts sechs toter amerikanischer Soldaten meinte die Mutter: „Auch diese Mütter haben keine Söhne mehr.“

Paul Schütz, der damals Elfjährige, wohnte am Marktplatz. Er spielte in der Sonne, weil er Flieger in der Luft gewohnt war. Der Vater schleppte Paulchen in den Keller. Nach dem dritten Bombenteppich liefen alle raus über den Marktplatz durch Hoffmanns Scheune bis unterhalb des Kupferhauses, wo heute Schütze Pauls Haus steht. Bei dem vierten Bombenteppich flog das Elternhaus in die Luft. Durch die gewaltige Druckwelle wurde der Amboss des Großvaters aus der Schmiede geschleudert. Das schwere Stück stand danach auf der Treppe der Apotheke. Noch einen Tag später war der Schutthaufen am Brennen. Es war nichts mehr zu retten, das Vieh war tot. Nur die Katze kam nach vierzehn Tagen haarlos aus den Trümmern.

Inge Hoffmann wiederum überlebte den Angriff in der freien Natur, weil ihr Vater rief: „Raus, raus!“ Er hatte Handwerkszeug holen wollen, weil Rockenfellers Haus kaputt war. Da der nächste Bombenteppich kam, liefen alle in die Wiese, schauten dem Angriff zu und hörten Schreie.

Pistorius und Zimmerschied erinnerten sich, dass die Konfirmation bereits zwei Wochen vor Palmsonntag stattgefunden hatte. Die Konfirmanden trafen sich in ihren Konfirmationsanzügen im Schlosspark. Dessen Bombardierung fielen mehrere der Jugendlichen zum Opfer.

Edith Franzmann, die in der Bahnhofstraße wohnte, konnte ein Kind retten. Die sieben Geschwister waren mit ihrer Mutter im Keller, als die Frau von oben dazu kam, ohne ihr Kind. Die Frau war völlig verwirrt. An Stelle ihrer Mutter lief Edith nach oben, um das Kind zu holen. Es war in der Wohnung am Stühlchen angebunden. Das Kind überlebte mit Ediths Hilfe.

Küppenbender machte sich Gedanken, warum das kleine unbedeutende Dierdorf Ziel der Alliierten wurde. Er ist sich sicher, dass dafür der damalige Ersatzbürgermeister Dietz verantwortlich ist, der zu den Alliierten, die schon in Bad Breisig waren, gesagt haben soll: „Ich verteidige Dierdorf bis zum letzten Mann!“ Dierdorf war von Militär und Kriegsgerät umzingelt. Hauptziel war Rockenfellers „Wiedischer Hof“, weil dort die Soldaten übernachteten. Zudem sei ein amerikanischer Panzer abgeschossen worden. Man habe noch die Holzbachbrücke gesprengt, dadurch den amerikanischen Einmarsch aber nicht verhindern können.

Gerhard Ehrenstein beobachtete den Angriff von Brückrachdorf aus. Die dort stationierten 200 Fallschirmjäger sollten bombardiert werden, aber die Bomben fielen neben das Dorf. Beim Einmarsch glaubten die Amerikaner, Brückrachdorf existiere nicht mehr. Das Bild musste sich zum Glück für den Ort geringfügig verschoben haben.

Ulrich Christian sagte für den Kulturkreis in seiner Dankesrede, der voll besetzte Saal lasse hoffen, dass der Gedanke des Friedens weitergegeben werde. htv


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