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Nachricht vom 02.11.2025    

Memorabilia VI: Eine fatale Schnapsidee

Von Niklas Hövelmann

KOLUMNE | In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts fassen zwei Betrunkene einen bemerkenswert dämlichen Plan: Nach einem banalen Streit über ein paar Stücke Käse mit zwei Westerwälder Krämern übermannt sie die Wut – mit tödlichen Folgen. Memorabilia VI über raue Zeiten, harte Staaten und ein Stück Käse.

Wenn der Handel schlecht läuft. (Quelle: Chat GPT)

Bendorf. Zum Wohl, liebe Leser. Nachdem in der letzten Episode der Memorabilia eine betrunkene Himmelfahrtsprozession spontan ein ganzes Dorf überfiel, wartet heute bereits die nächste Trinkergeschichte. Im Gegensatz zum letzten Mal, hatte diese Schnapsidee allerdings ernsthafte Konsequenzen für die Beteiligten. Grotesk komisch war es trotzdem.

Die Geschichte, weshalb ein paar läppische Stücke Käse zwei Köpfe kosteten, wäre sicher ein heißer Anwärter auf den Darwin Award gewesen, hätte es den Preis geschweige denn Charles Darwin im Jahr 1676 schon gegeben.

Westerwälder Handlungsreisende am Rhein
Springen wir direkt in medias res: Im April 1676 waren die beiden Westerwälder Milchwarenkrämer Jacob Geyer und ein gewisser Bernhard von Helmeroth auf Handlungsreise am Rhein unterwegs. Auf dem Weg nach Koblenz kehrten die beiden am Abend des 29. April 1676 im Gasthaus Kyrberger in Bendorf ein. Hier wollten sie sich von der beschwerlichen Reise erholen, die sie wohl zu Fuß angetreten hatten.

Als wäre es das Normalste auf der Welt, setzten sich beide mitsamt ihren in Kiepen verstauten Waren an einen Tisch des gut gefüllten Schankraumes. So dauerte es natürlich nicht lange, bis sie Blicke und Aufmerksamkeit der übrigen Kneipgänger auf sich gezogen hatten. Es dauerte wieder nicht lange und der erste Bendorfer – "voll wie der Mond" – löste sich aus seiner Zeche und erschien bei den beiden Fremden am Tisch.

Ein gescheiterter Handel
Er wolle etwas Käse kaufen, bekundete der Mann, Johann Peter Bender, sein Name. Die Krämer, auf die schnelle Mark aus, präsentierten ihm sogleich ihre Ware. Sechs Stücke Käse suchte sich Bender aus dem Angebot heraus. Doch beim offerierten Preis musste er schlucken. Zwei Kopfstücke verlangten die Westerwälder Händler.

Brüskiert lehnte Bender ab. Hieraufhin kamen ihm die Händler entgegen, verlangten nun 22 Petermännchen (so die saloppe Bezeichnung für den Albus mit dem heiligen Petrus als Prägung). Bender sah auch diesen Preis als schlichten Wucher und fühlte sich tief in seiner Ehre gekränkt. Laut protestierte er, bezeichnete die Käsekrämer als "Bärenheuter". Wütend schrie er, der Teufel solle den Käse samt den Verkäufern holen. Irgendwann zog er sich dann aber doch wieder in seine Gruppe zurück, innerlich kochend aufgrund der aus seiner Sicht absoluten Frechheit, die ihm zuteil wurde.

Die Westerwälder Händler leerten derweil ihre Krüge und bezahlten brav die Zeche. Sie verließen das Wirtshaus, luden ihre Waren auf und machten sich wieder auf den Weg in Richtung Koblenz. Etwa zehn Kilometer hätten sie von Bendorf aus noch zurücklegen müssen. Rund fünfzig Kilometer sollen sie im Laufe des Tages schon zurückgelegt haben. Entsprechend am Ende der Kräfte dürften sie auf dieser letzten Etappe wohl gewesen sein.

Inzwischen hatte Bender in seiner trunkenen Wut den Durst der Rache für sich entdeckt. Er überredete seinen Schumacherkumpanen und Saufbruder Johannes Mohren zu einer auf allen Ebenen wahnsinnig schlecht durchdachten Aktion: Als einsame Rächer wollten sie die Wucherer der Gerechtigkeit zuführen. Quasi wie Robin Hood, nur dämlich.



Die Bendorfer schlagen zu
Jacob Geyer und Bernhard von Helmeroth waren gerade auf halbem Weg zwischen Bendorf und Vallendar, hatten also ungefähr zweieinhalb Kilometer zurückgelegt seit ihrem Aufbruch aus dem Wirtshaus. Plötzlich kamen die beiden Bendorfer Trunkenbolde Bender und Mohren angespurtet. In ihren Händen trugen sie dicke Rebstöcke und machten alle Anstalten, diese sogleich zu benutzen. Rasend droschen sie auf die völlig erschöpften Krämer ein. Ihre Waren von sich werfend, versuchten sie sich, laute Hilferufe ausstoßend, in Richtung Rhein zu retten, die Peiniger immer weiter prügelnd im Rücken. Während Geyer ernsthafte Schultertreffer einstecken musste, ging sein Kollege Bernhard von Helmeroth zu Boden. Bender soll sich mit seinem Rebstock über ihm aufgebaut haben. Nach eigenen Angaben will Bernhard hier verzweifelt um sein Leben gebeten haben. Im Austausch gegen all die zurückgelassenen Waren soll er dann schließlich verschont und laufen gelassen worden sein.

Denkbar einfache Ermittlungen
Bender und Mohren schnappten sich die Milchprodukte. Als hätten sie sich noch nicht genug hineingeritten, nahmen sie das Diebesgut mit nach Hause, teilten es brüderlich und gingen zu Bett. Was daraufhin geschah, dürfte abseits von Bender und Mohren wahrscheinlich jedem klar sein: Es dauerte keine vierundzwanzig Stunden, da saßen die beiden Täter ernüchtert den Ermittlern gegenüber.

Die Westerwälder hatten natürlich direkt am nächsten Morgen Anzeige erstattet. Schnell waren die Übeltäter gefunden. Dies war schließlich auch mit den damals bescheidenen Möglichkeiten nicht schwer. Man hätte selbst mit Vorsatz gar nicht mehr Beweise hinterlassen können. Angefangen mit dem Wutanfall, weil der Käse zu teuer war, über das offensichtliche Verfolgen ihrer Opfer bis hin zum unverhohlenen Heimschleppen des Raubgutes, das man dann in der eigenen Wohnung bunkerte, hatten die beiden Schuhmacher wirklich alles gegeben, um ins Gefängnis zu kommen.

Sogleich gestanden die Hauptverdächtigen den Raub. Ihre Verteidigung war in der Eleganz vergleichbar schlecht durchdacht, wie der gesamte Überfall. In bester "Kevin-Lauterbach-Manier" zählte Johann Peter Bender auf, was er am Vorabend so alles getrunken hatte. Zwar blieb der legendäre saure Abbelkorn aus, weil er noch lange nicht erfunden war, dafür gab es drei "Köpgen" anderen Branntwein sowie reichlich Bier. Für die genaue Menge sollten die Ermittler den Wirt des Kyrbergers konsultieren. Zwar zeigten beide Täter Reue, der harten Strafe durch den Gerichtsherren entkamen sie trotzdem nicht.

Andere Zeiten, andere Sitten
Zum Leidwesen der Bendorfer war das Rechtssystem im 17. Jahrhundert deutlich makroautoritärer als in der Moderne. Sogenannte Zuchthäuser waren erst in der Entstehung, Gefängnisse im heutigen Sinne gar nicht existent. In einer solchen Welt lag es auf der Hand, dass ein bewaffneter Raubüberfall mit dem Tode zu bestrafen war.

So kam es dann auch: Beide wurden zum Tode durch das Schwert verurteilt, wobei Bender als Haupttäter im Anschluss noch symbolisch gerädert werden sollte. Andere Zeiten, andere Sitten. (NH)


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