Pressemitteilung vom 21.10.2025
Glücksspielsucht: Wenn der Automat das Leben kontrolliert
Beraterinnen der Regionalen Diakonie Westerwald sprechen über Wege aus dem Teufelskreis. Beim nächsten Mal klappt es bestimmt. Dieser Gedanke treibt den Mann, nennen wir ihn Günther, seit Jahren in die Spielhalle.

Westerwaldkreis. Dort fühlt er sich zuhause, im schummrigen Spielothekenlicht, im Klang der Automaten. Manchmal klappt es tatsächlich: Ganz am Anfang, als Günther 500 Euro an einem Tag gewinnt. Seitdem hofft er auf das nächste große Ding. So sehr, dass sein Lohn schon nach wenigen Tagen verspielt ist. "Hier, in der Spielhalle, an den Automaten, hab‘ ich die Kontrolle", sagt Günther. Dass das nicht stimmt, weiß er schon lange. Dass er verloren hat gegen die Automaten, dass sie ihn kontrollieren statt andersherum. Seit zwei Jahren werden die Karten neu gemischt. Günther ist in der Glücksspielberatung der Regionalen Diakonie Westerwald.
Martina Tretter und Annika Heinendirk sind dort als Glücksspiel- und Mediensuchtberaterinnen tätig – und kennen viele solcher Fälle wie den von Günther. Fälle, in denen Menschen ihren Arbeitslohn erhalten und ihn vier Tage später verspielt haben. Menschen, auf denen Spielschulden von mehr als 100.000 Euro lasten. Laut dem aktuellen Jahrbuch der "Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen", das auf Daten von 2023 basiert, haben fast 37 Prozent der 16- bis 70-Jährigen in diesem Jahr an einem Glücksspiel teilgenommen, zum Beispiel Lotto, Geldspielautomaten oder Sportwetten. 2,4 Prozent der Befragten haben nach Angaben der Statistik "glücksspielbezogene Probleme". Im bundesweiten Spielersperrsystem "OASIS", in dem sich Betroffene vom Glücksspiel ausschließen (lassen) können, waren Ende 2023 insgesamt rund 245.000 Sperreinträge gespeichert. Der Bund hat das Problem also im Blick, verdient am Glücksspiel jedoch mit: Die glücksspielbezogenen Einnahmen des Staates lagen 2023 bei rund 6,6 Milliarden Euro. Insgesamt sind auf dem legalen Glücksspielmarkt im selben Jahr mehr als 63 Milliarden Euro umgesetzt worden. Inzwischen umfasst der Markt weit mehr als die klassischen "terrestischen" Angebote, wie Spielhallen, Kasinos und Automaten genannt werden. Seit einigen Jahren ist der Reiz, auch mal sein Glück durch neue Angebote wie virtuelle Automaten und Online-Poker zu versuchen, deutlich gestiegen.
Ob real oder virtuell: Die Sucht nach dem Gewinn, dem nächsten Kick kann Menschen aus der Bahn werfen. "Die Lichter, die Klänge und Reize regen Dopamin an", sagt Annika Heinendirk. "Das macht uns glücklich. Und das Perfide beim Glücksspiel ist die Aussicht, dass bei der nächsten Runde der große Gewinn wartet". Denn Automaten oder Onlinespiele gaukeln Spielenden mit blinkenden Knöpfen und Interaktionsmöglichkeiten vor, die Kontrolle zu haben. Aber das stimmt nicht. Auch wenn das so mancher Neuling nicht glauben mag. "Das ist typisch für eine Spielerkarriere: Am Anfang steht das Ausprobieren und oft auch ein Erfolgserlebnis", sagt Martina Tretter. "Und dann folgt der Wille, diesen Kick noch einmal zu erleben." Oft um jeden Preis: Viele Menschen, die unter einer Spielsucht leiden, sind getrieben von der Suche nach neuem Geld, um weiter spielen zu können. Das treibt viele in horrende Schulden und sogar in den Diebstahl. "Etliche Klienten nennen sich selbst die 'Meister des Lügens'", weiß Annika Heinendirk.
In Spielhallen fühlen sich die Betroffenen tatsächlich wie kleine Meister. "Dort ist man wer. Man bekommt kostenlose Getränke, wird freundlich behandelt; die Fenster sind abgedunkelt, damit man die Zeit vergisst", sagt Annika Heinendirk. Aber es ist und bleibt eben: eine unkontrollierbare Lüge. "Auch die Sportwetten", glaubt Martina Tretter. "Man kann noch so viel vom Fußball verstehen: Ein Zufallstor stellt das ganze Spiel auf den Kopf – und der Wetteinsatz ist weg." Brandgefährlich ist nach Ansicht der Expertinnen auch eine moderne Art des Zockens: das sogenannte Krypto-Trading, eine riskante Form des Online-Handels. "Dort kann man hohe Gewinne erzielen, aber auch innerhalb von wenigen Augenblicken Tausende Euro verlieren", warnt Martina Tretter.
Die meisten, die zu Martina Tretter oder Annika Heinendirk in die Beratung kommen, haben den ersten wichtigen Schritt zu einer selbstbestimmten Zukunft schon getan: Sie wissen, dass sie Hilfe brauchen – und nehmen diese an. Die meisten, aber nicht alle. Denn viele kommen "fremdmotiviert" in die Beratung – angemeldet von einem Angehörigen. "Diese Menschen haben in der Regel einen längeren Weg vor sich als solche, die aus eigener Kraft kommen", sagt Annika Heinendirk. Wobei das Wort Kraft übertrieben ist: "Wir hören oft: Ich kann nicht mehr, ich brauche Hilfe. Diese Erkenntnis ist ein erster, wichtiger Schritt", glauben die Beraterinnen. Dann arbeiten sie mit den Betroffenen die Triggerpunkte heraus: "Welche Dinge führen im Alltag in die Sucht? Sind es die Lichter des Automaten? Die Sehnsucht nach dem Gewinnen? Die Sportschau im Fernsehen? Sogar das Gesellschaftsspiel?"
Die Klienten führen oft ein Suchttagebuch, in dem sie aufschreiben, wann sie besonders anfällig sind. Die Beratung soll helfen, mit diesen schwierigen Momenten umzugehen. „Der Suchtdruck dauert oft nur einen kurzen Moment und kann überwunden werden“, sagt Annika Heinendirk. "Das Gefährliche ist der Leichtsinn. Der Gedanke, dass man es geschafft hat und schon nichts passieren wird." Denn den einen Schlüssel zum Erfolg gibt es nicht, sagen die Beraterinnen. "Es ist eine Erkrankung, die Betroffene das ganze Leben begleitet und die im Auge behalten werden muss. So wie Menschen mit hohem Blutdruck ein Messgerät nutzen müssen, sollten Süchtige eine Art 'Notfallkoffer' parat haben: eine Selbsthilfegruppe, eine Notfallnummer eines Freundes. Dinge, die den Betroffenen zeigen: Du bist nicht alleine!"
Doch Annika Heinendirk und Martina Tretter sind nicht nur bei akuten Fällen da und beraten, helfen – etwa bei der Suche nach einer Klinik für eine Rehabilitation. Weil Glücksspiel- und Mediensucht so niederschwellig sind, bieten sie auch prophylaktische Hilfe an. "Wenn man merkt, dass der Umgang mit diesen Dingen problematisch wird, sind wir da – damit sich das Verhalten gar nicht erst zu einer Sucht entwickelt", sagt Martina Tretter.
Immer da sein. Auch anonym und vor allen Dingen: niederschwellig. Die Glücksspielberatung der Regionalen Diakonie Westerwald ist kostenlos; ein Anruf oder eine Nachricht reicht, um einen Termin zu vereinbaren. Weitere Informationen und der Kontakt sind bei Regionalen Diakonie Westerwald bei der Beratung zur Glücksspielsucht und Medienabhängigkeit erhältlich. Martina Tretter ist unter Telefon 016-4002293 erreichbar, ihre Kollegin Annika Heinendirk unter 0151-70677114. (PM/Red)
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