Pressemitteilung vom 04.09.2025
Polizist in Rheinland-Pfalz: Ein Abschiedskuss vor jedem Dienst
Sami Nettersheim, Polizeihauptkommissar in Remagen, lebt mit der ständigen Gefahr von Gewalt im Berufsalltag. Diese Realität hat ihn und seine Familie dazu veranlasst, sich jeden Tag bewusst voneinander zu verabschieden.

Remagen. Wenn der Dienst beginnt, ist selten absehbar, was folgt. Für viele Einsatzkräfte gehört verbale Aggression inzwischen zum Tagesgeschäft, körperliche Angriffe sind keine Ausnahme. Ein erfahrener Polizeihauptkommissar aus Remagen beschreibt, wie sehr die Einsatzrealität von spontanen Eskalationen, unklaren Lagen und gleichzeitiger Verantwortung für Kolleginnen und Kollegen geprägt ist. Persönliche Rituale vor Dienstbeginn, bewusste Abschiede und mentale Vorbereitung helfen, Unvorhersehbares einzuordnen und handlungsfähig zu bleiben.
Gesellschaftliches Klima und verbale Aggression
Die alltägliche Erfahrung umfasst abwertende Sprüche bis hin zu gezielten Beleidigungen – oft auch von Unbeteiligten am Einsatzort. Dieses Spannungsfeld verweist auf ein raueres gesellschaftliches Klima. Für Einsatzkräfte bedeutet es, bei Routineaufträgen und Bagatellen gleichwohl mit Widerstand zu rechnen und professionell deeskalierend zu handeln.
Zwischen Routine und Lebensgefahr
Gefährlich wird es vor allem, wenn Lagen binnen Sekunden kippen. Das gilt bei Erstmaßnahmen ebenso wie bei scheinbar harmlosen Einsätzen. Spontane Ad-hoc-Situationen, bei denen unklar bleibt, wer beteiligt ist, welche Motive vorliegen oder ob Waffen im Spiel sind, bergen besondere Risiken. Verkehrskontrollen stehen exemplarisch dafür: Unbekannte Belegung eines Fahrzeugs, offene Haftbefehle, Betäubungsmittel oder verborgene Waffen können die Lage schlagartig verändern.
Einsatzerfahrungen prägen die Professionalität
Frühe Erlebnisse im Dienst verdeutlichen, wie wichtig Funkdisziplin, Lagemeldung und Eigenschutz sind. Verfolgungen zu Fuß, Auseinandersetzungen in unübersichtlichem Gelände oder der plötzliche Kontakt mit bewaffneten Personen hinterlassen Spuren, schärfen aber zugleich Entscheidungsfähigkeit und Routine. Der gezielte Einsatz von Ansprache, klare Handlungsoptionen und das Wissen um die letzte Eskalationsstufe sind Teil professioneller Gefahrenabwehr.
Kollegiale Verantwortung und belastende Ereignisse
Besonders schwer wiegt Gewalt gegen Kolleginnen und Kollegen. Ereignisse mit tödlichem Ausgang – wie in Kusel, Mannheim oder jüngst in Völklingen – wirken tief nach. Nähe entsteht durch gleiche Aufgaben, geteilte Risiken und Verantwortung füreinander. Trauer und Wut stehen dann neben der Aufgabe, dienstlich funktionsfähig zu bleiben, Teams zu stabilisieren und Lehren für Abläufe und Taktik zu ziehen.
Zahlen, Tendenzen, Tatverdächtige
In Rheinland-Pfalz wurden 2024 rund 1.700 Gewaltdelikte gegen Polizeibedienstete registriert. Ein Großteil betrifft Widerstandshandlungen oder tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte. Die meisten Tatverdächtigen sind Männer. Für die Einsatzpraxis bedeutet dies, weiterhin auf robuste Eigensicherungsstandards, Fortbildung und die Auswertung von Einsatzdaten zu setzen.
Prävention durch Training und mentale Strategien
Zur professionellen Vorbereitung gehören regelmäßiges Einsatz- und Selbstverteidigungstraining, etwa in Systemen wie Krav Maga. Ebenso wichtig ist die mentale Hygiene: Austausch in der Dienstgruppe, Supervision, klare Trennung von Beruflichem und Privatem, wenn möglich. Rituale vor Schichtbeginn und bewusste Nachbereitung helfen, Belastungserleben zu ordnen und Resilienz aufzubauen.
Familie, Teamgeist und Motivation
Der Rückhalt im Team und im privaten Umfeld gilt als tragende Säule. Bewusste Abschiede vor Dienstbeginn, verlässliche Kommunikation im Alltag und das Wissen um die Bedeutung der Aufgabe stützen die Motivation. Für viele bleibt die Arbeit trotz Risiken ein erfüllender Beruf, getragen von Gerechtigkeitsverständnis, Hilfsbereitschaft und dem Anspruch, Sicherheit zu gewährleisten.
Lehren für Organisation und Öffentlichkeit
Aus sicherheitstaktischer Sicht sind konsequente Deeskalation, vorausschauendes Handeln und klare Führungsstrukturen entscheidend. Technische Mittel, verlässliche Funkverbindungen, abgestimmte Anfahrtstaktik und eindeutige Rollen im Einsatz erhöhen die Sicherheit. Öffentlichkeitsarbeit, die Hintergründe von Polizeiarbeit transparent macht, kann zudem Verständnis fördern und den Respekt gegenüber Einsatzkräften stärken.
Fazit
Gewalt gegen Polizei ist keine abstrakte Größe, sondern konkret erfahrener Bestandteil des Einsatzalltags. Zwischen Routine und Risiko sichern Ausbildung, Teamgeist und klare Verfahren professionelle Arbeit. Der Blick auf belastende Ereignisse, die Auswertung von Zahlen und die konsequente Stärkung von Prävention und Eigensicherung zeigen, wie Einsatzkräfte in Remagen und darüber hinaus handlungsfähig bleiben – trotz Unwägbarkeiten und steigender Anforderungen. (dpa/bearbeitet durch Red)
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