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Nachricht vom 11.02.2024    

Erinnerungskultur neu denken: Thomas Napp's kritische Sicht auf Soldaten im WWII

LESERMEINUNG | In diesem Leserbrief von Thomas Napp aus Rheinbreitbach setzt sich der Autor kritisch mit der Behauptung auseinander, dass alle deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg Täter des Holocaust waren. Er beschreibt, wie diese pauschale Verurteilung seiner Meinung nach die Erinnerungskultur verändert und zu einer individuellen Erbschuld führt, die die jüngere Generation von der Auseinandersetzung mit der Geschichte entfremden könnte. Der Autor betont die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtungsweise und warnt davor, dass solche Aussagen rechte Parteien wie die AfD stärken könnten.

Symbolfoto

Rheinbreitbach. Mit Entsetzen musste ich die Pressemitteilung des Landtages Rheinland-Pfalz und die Vorstellung der Forschungsergebnisse zum Holocaust in Rheinland-Pfalz lesen. Dort wird doch tatsächlich behauptet, dass jeder Mann, der im Zweiten Weltkrieg als Soldat gekämpft hat, als Täter im Rahmen des Holocaust zu bezeichnen ist.

Was für ein Schlag ist diese Aussage für alle Menschen und Familien, die Angehörige im Zweiten Weltkrieg verloren haben. Brüder, Väter, Söhne oder andere Verwandte, die zum verpflichtenden Wehrdienst einberufen und nicht mehr aus dem Krieg zurückkamen, weil sie in sinnlosen Schlachten geopfert wurden.

Sicherlich gibt es unter diesen Opfern auch Täter des Holocaust. Doch genau wie das Märchen von der einst sauberen und unschuldigen Wehrmacht, ist es falsch nun zu behaupten, dass alle Soldaten der Wehrmacht Täter seien, die die Juden ermordet und den Holocaust aktiv unterstützt haben. Es gibt einige Forschungsprojekte, die sogar belegen, dass es eine Anzahl an Soldaten gab, die von dem Verweigerungsrecht Gebrauch machten, an Exekutionen von Kriegsgefangenen und Juden teilzunehmen. Diese mussten nicht einmal Strafen fürchten.

Genauso gab es Soldaten, die in speziellen Umerziehungskommandos gelandet sind, weil sie die Befehle anzweifelten oder verweigerten. Die Drangsalierungen, die hierbei erlitten wurden, führten oftmals zu psychischen Krankheiten. Fahnenflucht aus Krankenhäusern oder den Umerziehungskommandos war die Folge. Bei Ergreifung wurden diese sofort erschossen und im Wald verscharrt. Das Grab meines Großonkels, der „auf der Flucht erschossen wurde", ist bis heute nicht gefunden. Mein Opa, Sanitäter auf der Wilhelm Gustloff, überlebte nur durch Zufall den Untergang des NS-Dampfers. Später lief er im Westen zu den Amerikanern über. Sind solche Menschen als Täter zu bezeichnen? Wohl kaum.



Diese Studie zeigt sehr deutlich, dass die Erinnerungskultur hier von einer kollektiven „deutschen" Erbschuld zu einer individuellen Erbschuld umgebaut werden soll. Offenbar hat man es weiterhin nicht in der rheinland-pfälzischen Geschichtswissenschaft verstanden, dass diese Erinnerungskultur nur zu einer Relativierung und Ablehnung dieser Zeit (gerade bei der jüngeren Generation) führt. Die Enkelgeneration oder Familien für Dinge verantwortlich zu machen, für die sie gar nichts können, ist nichts anderes als das, was die Nationalsozialisten einst mit der Sippenhaft taten. Eingewanderte Familien und deren Kinder können mit dieser Erinnerungskultur auch keine Verbindung zum Holocaust oder den schrecklichen Taten aufbauen. Der Satz von Migranten „das ist ja eure Geschichte" ist keine Seltenheit an Schulen. Das Produkt sehen wir im wachsenden Antisemitismus, der auch bei Migrantenfamilien verbreitet ist.

Allein die Unterscheidung von Migranten und „deutschstämmigen" Menschen in dieser Diskussion ist allein schon ein falscher Ansatz. Wir brauchen eine Erinnerungskultur, die den Menschen (unabhängig von Religion, Herkunft oder Nation) und dessen Werte in den Mittelpunkt des Gedenkens stellt. Wie konnte es sein, dass zum damaligen Zeitpunkt die Menschlichkeit und die Werte des Humanismus so in Vergessenheit gerieten und solche Taten zuließen? Wie können wir Humanismus heute leben?

Die Aussage, dass alle deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg Täter waren, ist hierbei undifferenziert und keinesfalls hilfreich. Im Gegenteil: Es ist Wasser auf die Mühlen der AfD und treibt die Menschen zur Wahl solcher Parteien.

Thomas Napp, Rheinbreitbach


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