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Nachricht vom 30.06.2022    

Landgericht Koblenz: Raser wegen versuchten Mordes verurteilt

Von Wolfgang Rabsch

Ja, es war versuchter Mord: Zu diesem Schluss kam das Landgericht Koblenz im Fall eines 38-jährigen Autofahrers, der im Februar 2021 mit 148 km/h durch Weißenthurm gerast war und dabei mehrere Menschen in Lebensgefahr gebracht hatte. Das Urteil ist nun gefallen: Der Angeklagte soll für fünf Jahre und acht Monate hinter Gitter.

Landgericht Koblenz. (Foto: Wolfgang Rabsch)

Koblenz. Die Kuriere hatten über den Prozess bereits hier berichtet. Die Liste der Vergehen, die die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last legte, ist lang und hätte auch aus dem Drehbuch einer Action-Serie stammen können: Eine Polizeistreife wollte eine Kontrolle durchführen, diese entzog sich der Angeklagte jedoch und gab Gas, womit nun eine unglaubliche Verfolgungsjagd durch Weißenturm begann. Der Angeklagte raste durch verschiedene Straßen in Weißenthurm mit wesentlich überhöhter Geschwindigkeit, so dass die Polizei die Verfolgung wegen Eigen- und Passantengefährdung abbrach.

Auf seiner Flucht raste der Angeklagte in Richtung Rhein, selbst in der verkehrsberuhigten Zone, wo sich Eltern mit ihren Kindern bewegten, zog er voll durch. Eine Mutter konnte gerade noch ihren Kinderwagen zurückziehen, sonst wäre dieser unweigerlich erfasst worden. Ein Vater zog seinen Sohn im allerletzten Moment zurück, als der Abstand zwischen dem Kind und dem Auto nur noch wenige Zentimeter betrug, und konnte so den sicheren Tod seines Sohnes verhindern. Der Angeklagte fuhr unbeirrt weiter, bis er vom Hochwasser am Rhein aufgehalten wurde und sogar mit der Motorhaube im Wasser stand, wendete und raste wieder zurück. Die Polizei hatte inzwischen Straßensperren eingerichtet, auf eine raste der Angeklagte mit einer Geschwindigkeit von 148 km/h zu und bremste erst im letzten Moment bis auf 64 km/h ab. Am Streifenwagen stehende Polizisten konnten sich nur durch einen Sprung zur Seite und auf das daneben befindliche Gleisbett retten. Dem Angeklagten gelang es trotzdem, an den Streifenwagen vorbeizufahren und weiter zu flüchten. Nur durch Zufall, so die Ansicht der Staatsanwaltschaft, kamen mehrere Menschen relativ unverletzt mit dem Schrecken davon. Der Angeklagte hätte aber billigend in Kauf genommen, dass Menschen hätten zu Tode kommen können.

Nummernschilder vertauscht?
Der Angeklagte bestritt, an jenem Tag das Auto gefahren zu haben. Seine Erklärung: Unbekannte hätten an seinem VW Eos die Nummernschilder abmontiert und diese an einem anderen VW EOS angebracht, der auch noch die Farbe seines Autos gehabt hätte. Durch Zusammenstellung vieler Indizien, Zeugenvernehmungen und Beschreibungen des Fahrers war für den Staatsanwalt jedoch klar, dass der Angeklagte das Fahrzeug gesteuert hatte.

Auch bei dem Vorfall, der schließlich zur Festnahme führte, handelte es sich um ein Verkehrsdelikt: Bei einer Fahrt auf einem Motorroller, der nur bis 25 km/h zugelassen war, flüchtete der Angeklagte erneut vor einer Polizeistreife, der aufgefallen war, dass als Sozia hinter dem Angeklagten eine Frau saß, die quer vor der Brust einen großen Flachbildschirm festhielt. Auch hier entzog sich der Angeklagte, bei der Flucht erreichte er mit dem Roller eine Geschwindigkeit von mindestens 64 km/h, als ihn wiederum eine quer gestellte Polizeistreife stoppen wollte. Der Angeklagte hielt voll auf den Wagen zu und touchierte in leicht, der Roller fiel um die Sozia - die schwangere Freundin des Angeklagten - stürzte zu Boden. Auch hier versuchte der Angeklagte, erneut zu flüchten, doch nach kurzer Zeit gab er auf und stellte sich. Insgesamt konnten dem Angeklagten drei Fälle des Fahrens ohne Fahrerlaubnis unter Drogeneinfluss nachgewiesen werden.



Im Bundeszentralregister, dessen Auszug die vorsitzende Richterin in der Verhandlung verlas, ist der Angeklagte längst kein unbeschriebenes Blatt mehr: Seine Akte enthält 21 Eintragungen, darunter Delikte vom Hausfriedensbruch über Sachbeschädigung und Körperverletzung bis zum Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz. Er hat noch nie eine Fahrerlaubnis besessen.

Versuchter Mord oder Verkehrsdelikt?
Nachdem die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung gehalten waren, stand nur noch die spannende Frage im Raum: Wie würde die Strafkammer beim Landgericht Koblenz entscheiden? Der Vertreter der Staatsanwaltschaft hatte unter anderem wegen versuchten Mordes bei einem Autorennen eine Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und zehn Monaten beantragt, dazu eine lebenslange Sperrfrist zur Erteilung einer Fahrerlaubnis und Haftfortdauer.

Rechtsanwalt Philipp Grassl beantragte, den Angeklagten unter Freisprechung vom Vorwurf des versuchten Mordes lediglich wegen dreimaligen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu verurteilen, wofür er eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten für angemessen hielt. Zudem forderte der Verteidiger die Aufhebung des Haftbefehls und Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen verminderter Schuldfähigkeit. Den Freispruch wegen des versuchten Mordes begründete der Rechtsanwalt damit, dass nicht zweifelsfrei bewiesen werden könne, dass der Angeklagte der Fahrer gewesen sei.

Nach längerer Beratung verkündete die Vorsitzende Richterin das Urteil: Der Angeklagte wird wegen versuchten Mordes durch ein verbotenes Kraftfahrzeugrennen in Tateinheit mit vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung und dreimaligen Fahrens ohne Fahrerlaubnis unter Drogeneinwirkung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 8 Monaten verurteilt. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wird angeordnet, der Haftbefehl bleibt aufrechterhalten und in Vollzug.

Die Richterin begründete das Urteil sehr ausführlich und erklärte, dass alle für und gegen den Angeklagten sprechenden Gründe berücksichtigt worden seien. Nach erfolgter Rechtsmittelbelehrung wurden seitens der Prozessbeteiligten keine Erklärungen abgegeben, somit ist das Urteil noch nicht rechtskräftig. (Wolfgang Rabsch)



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