Werbung

Nachricht vom 30.01.2022    

Buchtipp: „Die polnische Mitgift“ von Patricia Verne

Von Helmi Tischler-Venter

Der Untertitel „Was wir unseren Kindern weitergeben“ verrät, um was es geht: Verne untersucht mithilfe von Familie, Schicksalsgleichen und Fachleuten das ethisch-pädagogische Fundament ihrer Herkunft auf Solidität zur Weitergabe an die kommende Generation. Herausgekommen ist ein „erzählendes Sachbuch“.

Dierdorf/Karlsruhe. Die Autorin ist 1979 als Patrycja Czarkowska im polnischen Opole (Oppeln) geboren und in Konstanz am Bodensee aufgewachsen. Dort litt sie als Kind unter dem Makel, nicht in Deutschland geboren zu sein. Dazu kam der für Deutsche schwierige, verräterische Familienname „Czarkowski“. Peinliche Alltagssituationen gaben ihr das Gefühl, nicht dazuzugehören. Das weckte das Bestreben nach schneller Integration. Erschwert wurden die Bemühungen durch den sprachlichen Zuhause-Außerhalb-Kontrast, denn in der Familie blieb die polnische Sprache unantastbar. Der jungen Patricia war es peinlich, wenn ihre Eltern als Nicht-Deutsche auffielen. Mit wie viel Mut und Anstrengungen diese die Flucht in den besseren Westen gewagt hatten, erkannte sie erst als Erwachsene und Mutter.

Verdrängen und Schweigen gehörte zum familiären Überleben. Die Eltern hatten ihre Flucht 1980 absolut geheim vorbereitet, nicht einmal die engste Familie wurde informiert. Eine Besserung der bedrückenden politischen Lage in der Heimat erschien so aussichtslos, dass für sie nur die Übersiedlung nach Deutschland infrage kam, in das Land der Freiheit. Dass dann sehr schnell ein deutscher Pass ausgestellt wurde, war ausgerechnet dem Großvater zu verdanken, der in der Wehrmacht gedient hatte.

Der Historiker Peter Oliver Loew sieht das Bestreben nach schneller Integration bei den Zuwanderern aus Polen besonders ausgeprägt. „Weder haben sie sich integriert, noch kann man sagen, dass sie sich nicht integriert hätten. Sie haben sich einfach unsichtbar gemacht“, stellte Adam Soboczynski sehr treffend fest. Die Ursache liegt in der ständigen Teilung und Vernichtung des Landes in der Geschichte.

Im Jahr 2004 trat das Land Polen durch seine Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft aus der Unsichtbarkeit in das Licht der Öffentlichkeit. Die Wahrnehmung wandelte sich zum Positiven. Die Autorin verfiel in einen Aufholmodus, bemüht, die Lücken ihrer Polnischkenntnisse auf allen Gebieten zu schließen.



Den ungeliebten polnischen Familiennamen legte die Autorin mit der Heirat ab und nahm den französischen Namen ihres Mannes an. Doch heute hätte die Autorin gern ihren Namen in seiner polnischen Urform zurück, weil er zu ihrer Identität gehört.

Migrationserfahrung als Bereicherung hat Platz in vielen Gebieten gefunden: in der Politik, Kultur, Arbeitswelt und im sozialen Miteinander. Kulinarische Spezialitäten sind anerkannt. Polnische Migranten der zweiten Generation empfinden Stolz statt Scham und erziehen ihre Kinder zweisprachig. Das religiöse Erbe wird gern in Traditionen und Ritualen weitergegeben trotz innerlicher Distanz zur katholischen Kirche. Der traditionsbewusste Vater gab seiner Tochter den Auftrag mit, trotz aller Anpassung, das Polnische in ihr zu bewahren.

Strenge Erziehung, Samstagsputz, Lob als Fremdwort, hohe Erwartungen an Erfolg und Leistung im Alltag machten Kindern das Leben schwer. Verve betrachtet diese Erfahrungen als Ansporn für die Aussiedlerkinder, dem Rest der Welt zu beweisen, was sie können. Sie sind aber wohl eher dem allgemeinen (nationalunabhängigen) Streben nach sozialem Aufstieg geschuldet, denn der Zugehörigkeit zu einer Migrantengruppe.

Patricia Verne formuliert das Ziel ihrer Suche zurück zu den Wurzeln mit Blick auf die Zukunft: „Ich hoffe, dass Lionel und Louise (ihre Kinder) ihre Herkunft eines Tages mit Stolz sehen, die ihnen mitgegebenen Sprachen als Geschenk empfinden und die Traditionen und kulturelle Vielseitigkeit schätzen werden.“

Erschienen ist das sehr interessante Hardcover-Buch im Lauinger Verlag, ISBN 978-3-7650-9151-3 und als E-Book, ISBN 978-3-7650-9151-3. (htv)



Lesen Sie gerne und oft unsere Artikel? Dann helfen Sie uns und unterstützen Sie unsere journalistische Arbeit im Kreis Neuwied mit einer einmaligen Spende über PayPal oder einem monatlichen Unterstützer-Abo über unseren Partner Steady. Nur durch Ihre Mithilfe können wir weiterhin eine ausgiebige Berichterstattung garantieren. Vielen Dank! Mehr Infos.



Mehr dazu:   Buchtipps  
Lokales: Dierdorf & Umgebung

Jetzt Fan der NR-Kurier.de Lokalausgabe Dierdorf auf Facebook werden!


Anmeldung zum NR-Kurier Newsletter


Mit unserem kostenlosen Newsletter erhalten Sie täglich einen Überblick über die aktuellen Nachrichten aus dem Kreis Neuwied.

» zur Anmeldung



Aktuelle Artikel aus der Kultur


Popchor 4joy's feiert 15-jähriges Bestehen mit Jubiläumskonzert in Dierdorf

Dierdorf. Die Mitglieder des Popchors 4joy's bereiten sich auf einen besonderen Tag vor. Ihr 15-jähriges Bestehen wollen ...

Ausstellung "Grafik und Buchkunst" der Künstlerin Louise Heymans im Kunstverein Linz am Rhein

Linz am Rhein. Der Kunstverein lädt zur Vernissage am Samstag, 27. April, um 15 Uhr ein. Die Begrüßung wird durch Sabine ...

Bewerbungsstart für den Deutschen Buchhandlungspreis 2024

Region. Die Gewinner erwartet ein Gütesiegel verbunden mit einem Preisgeld von bis zu 25.000 Euro. Insgesamt stehen für den ...

Landesmusikverband fordert Kulturfördergesetz für Rheinland-Pfalz

Neuwied/Region. Hallerbach sprach von einem "besorgniserregenden Blick" auf die Kulturszene in Rheinland-Pfalz. Er verwies ...

Sterne des Südens leuchten im Westerwald: hochkarätiges Literatursommer-Programm

Willroth. Stellvertretend für die drei Landräte der Gemeinschaftsinitiative „Wir Westerwälder“, Dr. Peter Enders (AK), Achim ...

Neuwied-Block in Frühlingsstimmung: Konzert der Blocker Musikanten erwartet Musikliebhaber

Neuwied-Block. Mit ansteckender Begeisterung proben die Musiker in Neuwied-Block für das bevorstehende Konzert. Am Samstag, ...

Weitere Artikel


Yoga im Frühling

Waldbreitbach. Yoga hilft bei Entspannung und neue Kraft wird aufgeladen. Es ist eine harmonische Verbindung von Atmung, ...

Wanderung im Feisternachtbachtal mit Werner Schönhofen

Neuwied. Vom Parkplatz am Eingang zum Feisternachtbachtal an der Straße von Vallendar-Schönstatt nach Hillscheid geht es ...

Streit in Oberbieber zwischen HVO und KFO

Oberbieber. Ende 2021 wurde durch den HVO der seit 2010 bestehende Pachtvertrag mit der KFO gekündigt. Ausschlaggebend für ...

Chance auf ein Glasfasernetz bis ins Haus in Vettelschoß

Vettelschoß. Voraussetzung für eine Realisierung ist aber, dass sich mindestens 33 Prozent der Haushalte in der Verbandsgemeinde ...

Bei Kontrolle Fahrer unter Drogen aus dem Verkehr gezogen

Bendorf. Am Kontrollpunkt wurde gegen 23:25 Uhr ein 27-jähriger Pkw-Fahrer in die Kontrollstelle eingewunken. Im Rahmen der ...

Aktiv sein und bleiben - trotz Krebs

Region. Sport ist gerade für Menschen mit einer Krebserkrankung überaus hilfreich, um die Nebenwirkungen der Therapie wie ...

Werbung