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Nachricht vom 12.12.2021    

Buchtipp: „Journalisten sind auch nur Menschen“ von Gerhard Specht

Von Helmi Tischler-Venter

Der aus Höhr-Grenzhausen im Westerwald stammende Journalist Gerhard Specht erzählt Geschichten und Erkenntnisse aus seinem langen, fast ein halbes Jahrhundert währenden Medien-Leben. Dazu gehört vorweg die Anekdote „Hilla, der Papierkorb brennt“, die sämtliche Klischees über Journalisten seiner Generation bestätigt.

Autor Gerhard Specht. Fotos: privat

Dierdorf / Berlin. Typisch seien solche Journalisten: Kaffee- und nikotinsüchtige Machos mit gelben Zähnen und Fingerkuppen, die die Füße auf den Schreibtisch legen, sich bedienen lassen und in jeder Situation flotte Sprüche absondern, die vor allem sie selbst komisch finden. Als Spechts abgestürzte Kippe einen Brand im Papierkorb auslöst, sprintet die angesprochene Hilla wortlos zum Schreibtisch, kippt erst den Kaffee und danach einen Kübel Wasser in den Abfall-Eimer. „Als alles gelöscht ist, findet sie Zeit, mich strafend anzusehen.“ Die digitale Hilfe hingegen besteht den Test nicht. Sie reagiert völlig humorfrei auf die Aussage „Siri, der Papierkorb brennt“: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich richtig verstanden habe.“ Specht resümiert: „So etwas hätte Hilla nie gesagt. Es war eben nicht alles schlecht – in der guten alten, analogen Zeit.“

Weil für seinen Vater Journalisten nur „Tintenpisser“, „Mistwühler“, eben „Schreiberlinge“ waren, erlernte Gerhard Specht zunächst folgsam den Beruf des Industriekaufmanns. Die Eltern waren zufrieden, er selbst nicht. Daher schrieb er gelegentlich für seine Heimatzeitung. So wie Kurt Tucholsky wollte er schreiben. Präzise, unparteiisch informieren, Missstände aufdecken und vielleicht ein wenig die Welt verbessern.

Sein Berufsleben begann Specht als Volontär in der Zeitungsstadt Mannheim. Schnell und klar verfasste Berichte über spektakuläre Verbrechen an Kindern befeuerten 1967/68 seine Journalisten-Karriere. Nach vorübergehender Arbeit in einer Pressestelle einer Kommunalbehörde in Ludwigshafen, ging Specht zurück zur Mannheimer „AZ“ und wurde schließlich deren Chefredakteur. Gemeinsam mit dem engagierten Team, versuchte er vergeblich gegen den finanziellen Niedergang des Blattes anzuschreiben. Nach der Arbeit für verschiedene Magazine, verschlug es Specht nach Kusel im westlichsten Zipfel der Westpfalz an der Grenze zum Saarland, wo die Menschen sich selbst bemitleiden. Die Arbeit für die Tageszeitung „Rheinpfalz“ trug ihm eine Dauerfehde mit dem Landrat ein, der wie der „Trödler Abraham“ durch die Lande zog und in der Heimat der legendären „Elwetritsche“ Altertümchen sammelte.

Pirmasens, die ehemalige Metropole der deutschen Schuhindustrie befand sich – wie die gesamte Westpfalz – auch damals schon im Abwärtstrend. Drei große Probleme bewegten die Region: Die Autobahnlücke durch den Pfälzerwald. Das Giftgas-Lager der US-Army. Und natürlich die Schuhindustrie in und um Pirmasens. Die geplante A 8 durch den Pfälzer Wald wurde von der Bonner Regierung abgelehnt. Das Giftgas der Amerikaner wurde nach heftigen Protesten abgefahren. Die Schuhindustrie trudelte trotz der genialen Idee der „Deutschen Schuhstraße“ und massiver journalistischer Bemühungen ihrem Untergang entgegen.

Der leidenschaftliche Sportreporter Horst Konzok und der „Afrikaner“, der aus Namibia stammende Hartmut Rodenwoldt als Konzoks Nachfolger arbeiteten in der Pfalz und fanden die Region spannend. Der Ur-Westpfälzer Peter Thiessen war Spürhund für interessante Artikel, die allerdings auch einmal wütende Schwergewichtler auf den Plan riefen. Schwerwiegende Fehler unterliefen auch dem Chef-Lokalredakteur Specht: Zum Beispiel kostete eine zur falschen Zeit und unvollständig veröffentlichte Meldung über die Bonität eines Maschinenbau-Unternehmens dieses fast die Existenz. Und eine brisante Meldung aus zuverlässiger Quelle über einen Angriff auf die „Jumelage“ der beiden Städte Poissy und Pirmasens, erwies sich als Ente.

Von 1981 bis 1984 absolvierte Specht ein berufsbegleitendes Studium für Journalisten an der „Freien Universität Berlin“ (FU Berlin). Nach 13 Jahren in Pirmasens ging er als Chef vom Dienst und Redaktionsleiter zu „RPR“ in Ludwigshafen, denn am 1. Januar 1984 begann in Ludwigshafen ein neues Zeitalter: Das Privat-Fernsehen in Deutschland ging auf Sendung. Produziert wurde das „EPF“ in den Kellerräumen des „Rheinpfalz“-Verlagshauses des Verlegers Dieter Schaub. Die zweite einflussreiche Persönlichkeit in Ludwigshafen war der örtliche Abgeordnete, Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl (CDU).



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Das moderne „Cross Media“ war in Ludwigshafen damals schon Alltag. „Rheinpfalz“, „RPR“ und „EPF“ arbeiteten zwar unabhängig voneinander, aber eng zusammen. Der beste Beweis für die Effektivität von Cross Media ist, dass die „EPF“-Fernseh-Moderatorin und Chefin vom Dienst, Anne Preun, Frau Specht wurde.

„EPF“ stellte Ende 1987 sein Programm ein. Gerhard Specht ging nach Berlin. Wegen Anne, die Sportchefin und Moderatorin beim Fernsehkanal von RIAS wurde, wegen Tucholsky und „wegen Berlin“. Die nächsten dreieinhalb Jahre zählen für den Journalisten zur aufregendsten Zeit seines Lebens.

Das Thema des „RIAS-TV“ war der Osten. Den gab es rings um Berlin. Man befand sich im Kalten Krieg und versuchte die DDR-Propaganda Karl Eduard von Schnitzlers mit sachlichen, faktenbasierten Informationen zu kontern. Westdeutsche Politik wurde in Washington, Moskau und in Bonn gemacht. Studioleiter für das Studio „RIAS-TV“ in Bonn wurde Gerhardt Schmidt, der von der Ost-Politik fasziniert war und häufig die Polit-Granden zu Gast im Studio hatte.

„Das Jahr 1989 glich, rückblickend betrachtet, einem Staffellauf zur Freiheit: Im März freie Wahl der Volksdeputierten in Moskau, im Mai Schnitt durch den Eisernen Vorhang in Ungarn, … Und dann der 9. November 1989.“ Das war die Nacht des Wahnsinns, in der Specht 23 Stunden durchgearbeitet hat für eine dreistündigen Live-Sendung mit dem Hauptthema „Reisefreiheit“. Seine Sicht auf die Wende hat der Journalist bereits in einem früheren Buch geschildert.

Die Einrichtungen von „DFF“ und dem „Rundfunk der DDR wurden gemäß dem Einigungsvertrag aufgelöst, sie wurden allesamt von West-Medien übernommen und umstrukturiert. Auch die Journalisten wurden hin und her umgeschichtet. Durch Helmut Kohls Vorliebe für den 1. FC Kaiserslautern avancierte Horst Konzok zu dessen Leibwächter während des legendären Gorbatschow-Besuchs in der Pfalz. Eine nette Anekdote.

RIAS TV sendete nun bundesweit. Für Specht war die Gedenksendung zum 1. Jahrestag der Maueröffnung am 9. November einer der, wenn nicht der Höhepunkt seiner Arbeit. Schließlich wurde „RIAS-TV“ abgeschaltet. Gerhard Specht wurde Leiter des weltweit ausgestrahlten Auslandssenders „Deutsche Welle“ (DW).

Statt in Ruhestand zu gehen, nahm Gerhard Specht das Angebot einer Hochschule für Medienschaffende (DMA) an und vermittelte jungen, hoffnungsvollen Bachelor-Studenten mit viel Spaß das kleine und größere Einmaleins der Journalistik.

Die Weggefährten Rüdiger Lentz, Hartmut Rodenwoldt, Gerhardt Schmidt und Wilfried Hub hatten inzwischen ebenfalls Karrieren gemacht. Im Abschlusskapitel “Rückblende“ bittet der Autor seine Kollegen, doch einmal in den Rückspiegel zu blicken und zu überlegen, was sie erlebt haben und ob sie noch einmal diesen Beruf ergreifen würden. Ihre Antworten sind überraschend. Spechts eigenes Resümee nach fast 50 Jahren bei Zeitungen, Radios, Fernsehen und als Dozent an einer Akademie lautet: „Ich wollte es unbedingt – Journalist werden. Und ja, ich würde es wieder tun.“

Erschienen ist das 224-seitige Taschenbuch beim Omnino Verlag, ISBN-10: 3958942073, auch als E-Book. (htv)


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