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Nachricht vom 17.11.2021    

Überraschendes Urteil im Vergewaltigungsprozess beim Landgericht Koblenz

Nach einer umfangreichen Beweisaufnahme, wobei es zu insgesamt fünf Hauptverhandlungsterminen kam, wurde am 16. November das Urteil im Vergewaltigungsprozess gesprochen.

Symbolfoto

Dierdorf. Was wirft die Staatsanwaltschaft Koblenz dem Angeklagten vor?
Der heute 40-jährige Mann aus einem Ort in der VG Dierdorf soll an seinem weiblichen Opfer in mehreren Fällen sexuelle Handlungen vorgenommen haben und es unter Anwendung von Gewalt gegen seinen Willen zum Beischlaf gezwungen haben, wobei der Geschlechtsverkehr häufig abnorm durchgeführt wurde. An einem anderen Tattag rannte er hinter der Zeugin her, die vor ihm flüchtete, packte sie von hinten und würgte sie bis zur Bewusstlosigkeit.

Zweifel an der Glaubwürdigkeit des vermeintlichen Opfers

Der Angeklagte bestritt von Anfang an, beim Sex mit dem vermeintlichen Opfer Gewalt angewandt zu haben. Im Laufe der Verhandlungen sagten mehrere Zeugen aus, darunter auch das vermeintliche Opfer, die in einer virtuellen Aussage den Vorwurf der Anklage bekräftigte und bei ihrer Beschuldigung der Vergewaltigung blieb.

Als Zweifel an der Aussage der Zeugin aufkamen, wurde ihre Strafliste (BZR) eingeholt. Der aktuelle BZR förderte einige Überraschungen zutage: Die Zeugin ist mehrfach vorbestraft und steht zurzeit unter laufender Bewährung. Die teils heftigen Tatvorwürfe lauten: Zuhälterei, Förderung von Prostitution, Misshandlung von Schutzbefohlenen, falsche Verdächtigung und uneidliche Falschaussage. Insgesamt stehen ein Jahr und sieben Monate zur Bewährung auf dem Papier, die bereits widerrufen wurde, die Vollstreckung jedoch im Gnadenweg wieder ausgesetzt wurde. Die Verurteilungen wegen Falschaussage und falscher Verdächtigung fanden im Rahmen einer Trennung von ihrem Ex-Freund oder Ex-Mann statt, um bei Gericht Vorteile zu erlangen.

Natürlich konnte die Strafkammer die neuen Erkenntnisse nicht unter den Tisch fallen lassen und beauftragte die Psychologin Eva Steinbach aus Saarbrücken mit der Erstellung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens. So kam es zum mündlichen Gutachten, die Sachverständige erstattete ihr Gutachten per Videoschalte aus ihrer Praxis. Nach Ansicht der Sachverständigen verfügt die Zeugin über histrionische Veranlagungen, wobei sie immer die Hilfe anderer benötigt. Während ihrer Ehe hat sie immer die Opferrolle eingenommen, dabei die Misshandlungen der eigenen Kinder auf den Ehemann geschoben und ihre eigenen Fehler verdrängt.

In den Angeklagten war sie nicht verliebt, weil er sie nicht als Partnerin anerkannt hat. Da sie damals keine Wohnung hatte und der Angeklagte sie aufnahm, war sie ihm dankbar und ließ sich aus diesem Grund auf allerlei sexuelle Spielarten und abnormen Geschlechtsverkehr ein.

Als der Angeklagte dann mit einer neuen Freundin ankam, brachen alle Hoffnungen weg. Sie bewertete die Beziehung neu, war enttäuscht und eifersüchtig. Sie hätte die Beziehung nie beendet, wenn die neue Frau nicht aufgetaucht wäre. Nachdem die Zeugin sich einem Freund anvertraut hatte, fand durch diesen eine suggestive Beeinflussung statt und dieser riet ihr, die sexuellen Übergriffe bei der Polizei als Vergewaltigung anzuzeigen, dazu kamen noch Rachegefühle. Sie hat die Bedeutung der vermeintlichen sexuellen Übergriffe umgedeutet und glaubte fest daran, dass der Angeklagte den Sex mit ihr erzwungen hatte und dieser gegen ihren Willen geschah. Der Zeitpunkt der Anzeige hängt mit ihrer persönlichen Mangelsituation zusammen. Durch eine Umdeutung der Geschehnisse fand eine autosuggestive Erweiterung der Vorwürfe statt und so glaubte sie fest an die vermeintlichen Vergewaltigungen.



Fazit der Sachverständigen: Die Aussage der Zeugin ist als nicht glaubwürdig anzusehen, auch wenn sie durch Umdeutung des Geschehens davon überzeugt war, dass der Angeklagte sie beim Sex vergewaltigt hat.

Der Angeklagte ließ sich nun zu dem Vorwurf der Körperverletzung ein, er bestritt nicht, dass er der Zeugin hinterherlief, als diese das Haus verließ. Er packte sie von hinten, nahm sie in den „Schwitzkasten“, und zog so fest den Arm um den Hals, dass die Zeugin das Bewusstsein verlor. Anschließend zog er sie ohnmächtig über den Asphalt zurück ins Haus, wo sie erst später zu sich kam.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erfolgte seitens des Gerichts der rechtliche Hinweis, dass auch eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung erfolgen kann (§ 224 Abs.1 Nr.5 Strafgesetzbuch).

Dr. Anette Korte war als weitere Sachverständige bestellt, um ein forensisches Gutachten zum Angeklagten zu erläutern. Sie berichtete: „Der Angeklagte ist in einer Adoptivfamilie aufgewachsen, bei einem Verkehrsunfall starb die Mutter, er selbst wurde schwer verletzt und erlitt schwere Kopfverletzungen bei dem Unfall, Hirnschädigungen sind nicht auszuschließen. Mit 13 Jahren Alkohol- und Drogenkonsum, auffällig schon als Jugendlicher, orientierungslos, wütend und impulsiv, suizidale Handlungen könnten auf eine instabile Persönlichkeitsstörung hinweisen. Keine schizophrene Psychose, eine hirnorganische Symptomatik kann vorliegen.“

Zusammenfassung: Es liegen keine Eingangsmerkmale für eine schwere krankhafte seelische Störung im Zusammenhang mit Drogen und Alkohol vor. Einsichtsfähigkeit ist vorhanden, die Steuerungsfähigkeit ist erheblich beeinträchtigt, die Anwendung des § 21 Strafgesetzbuch (verminderte Schuldfähigkeit) ist nicht auszuschließen.

Nachdem die Beweisaufnahme geschlossen wurde, folgten die Plädoyers:
Der Vertreter der Staatanwaltschaft beantragte wegen Vergewaltigung in sechs Fällen sowie wegen gefährlicher Körperverletzung eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren. Rechtsanwältin Susanne Hardt aus Ruppichteroth beantragte Freispruch im Hinblick auf sechs Fälle einer Vergewaltigung, wegen der gefährlichen Körperverletzung, unter Anwendung des §21 StGB, eine Freiheitsstrafe im Ermessen des Gerichts zur Bewährung, keinen Haftbefehl.

Dramatisch verlief das letzte Wort des Angeklagten, der immer wieder von Weinkrämpfen geschüttelt, beteuerte, dass er die Zeugin nicht vergewaltigt habe. „Diesen Schuh ziehe ich mir nicht an, ich hasse Kinderficker und Vergewaltiger“ so sprudelte es aus ihm heraus.

Urteil im Namen des Volkes
Nach ausgiebiger Beratung wurde das Urteil verkündet: Unter Freisprechung im Übrigen, wird der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Die Bewährungszeit beträgt drei Jahre. Sechs Monaten lang hat der Angeklagte wöchentlich zehn Sozialstunden abzuleisten.

Rechtanwältin Susanne Hardt und der Angeklagte erklärten Rechtsmittelverzicht, die Staatsanwaltschaft gab keine Erklärung ab, sie kann noch Revision beantragen. (Wolfgang Rabsch)


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