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Nachricht vom 06.03.2021
Kultur
Kulturlandschaft unter Naturschutz – wie geht das?
Wo angeblich „über den Höhen der Wind so kalt“ pfeift, hat sich dank des subozeanisch-subkontinentalen Klimas eine arten- und individuenreiche Pflanzen- und Tierwelt entfaltet. Ein Gastbeitrag von Dr. Hermann Josef Roth.
Rastende Kraniche (Grus grus) vor dem Schilfgürtel am Dreifelder Weiher. Fotos: Harry Neumann/NI und Dr. Hermann Josef Roth
Montabaur. Beinahe in der Mitte zwischen Lahn und Sieg ist über 300 Jahre hinweg eine Kulturlandschaft eigenen Charakters entstanden, die mit buntem Nebeneinander verschiedener Vegetationsformen ebenso als Naturlandschaft bedeutungsvoll ist.
Naturlandschaft bedeutungsvoll ist.

Landschaft von Menschenhand
An der Westerwälder oder Nassauischen Seenplatte zwischen Hachenburg und Selters gibt es keinen einzigen natürlichen See. Auch die Benennung Dreifelder Weiherland ist fachlich nicht korrekt, denn alle großen Wasserflächen sind künstliche Aufstauungen, Teiche eben.

In einer Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme hatte Graf Friedrich von Wied (1634-1698) nach dem Dreißigjährigen Krieg saure Wiesen überfluten und fischereiwirtschaftlich nutzen lassen.

Dreifelden, 1319 erstmals erwähnt, war Hauptort des wiedischen Oberkirchspiels Rückeroth. Bemerkenswert ist die im Kern romanische Dreifaltigkeits-Kirche aus dem 11.Jahrhundert. Ganz aus dem Rahmen der hiesigen Baukunst fällt ihr spätgotischer Chorturm mit nach außen vorspringender Apsis. Hier haben auswärtige Einflüsse gewirkt, wie auch bei der barocken Kirche in Wölferlingen (1751), deren Architektur süddeutschen Anregungen folgt.

Die Grafen von Wied hielten am Westufer des Seeweihers die vor 1342 erbaute Burg „Rohrbruch“. Später zerfallen blieb stattdessen das herrschaftliche Gehöft Seeburg (18. Jahrhundert).

Untergrund
Dem Westerwald haben seit dem älteren Tertiär (Oligozän) vulkanische Aktivitäten sein heutiges Profil gegeben. Trachyt, Latit („Andesit“) und vor allem Basaltschmelzen drangen an die Erdoberfläche, zwischen Schmidthahn und Langenbaum sowie bei Wölferlingen in abbauwerter Form. Während des Pleistozän („Eiszeit“) verwitterte das Auswurfmaterial und überdeckt nun fast überall die älteren Gesteinsschichten, die im Hachenburger Wald noch frei anstehen.

Als Ergebnis der erdgeschichtlichen Vorgänge blieb eine durch mehrere Bergkuppen umsäumte flachwellige Hochfläche (ca. 400-440 m) mit wannenförmigen Dellen und Quellmulden. Diese sind durch entkalkten braunen Lehm soweit abgedichtet, dass sie natürliche Auffangbecken für die Teiche bilden.

Wind und Wasser
Die Winde wehen hier vorwiegend aus Westen oder Nordwesten. So regnen sich die von See her antreibenden Wolken über dem Westerwald reichlich aus. Mit bis zu 1.100 mm jährlicher Niederschlagsmenge und bei relativ niedrigen Durchschnittstemperaturen gegenüber dem Rheintal könnte man hier von ozeanischem kühl-feuchtem Berglandklima in Luvlage sprechen.

Das Hochplateau wird nach allen Seiten hin entwässert. Nach Norden fließt der Wiedbach aus, der 95 km bis zur Mündung in den Rhein bei Neuwied zurücklegt und damit längster Wasserlauf des Westerwaldes ist. Der Enspeler Bach dagegen wendet sich nordöstlich der Nister zu.

Aus diesen Bachläufen empfangen die Teiche ihr Wasser. Zum Wiedbach-System gehören Dreifelder oder See-Weiher (123 ha; 2 km L., 800 m Br.), der Haiden- (28,8 h) und Hofmanns-Weiher (16,3 ha); zum Holzbach -System die Freilinger Teiche: Brinken- (21,4 ha), Post- (12 ha) und Haus- Weiher (9,6 ha); zum Saynbach-System der Wölferlinger Weiher (1,02 ha).

Die beiden Weihergruppen bei Dreifelden und Freilingen liegen auf dem eigentlichen Hochplateau bei 420 m beziehungsweise circa 405 m Höhe über Normalnull, während der Wölferlinger Weiher innerhalb des ostwärts ansteigenden Geländes bei 427 m in einer flachen Quellmulde liegt.

Die Fischereiwirtschaft besetzte die Teiche mit Karpfen, Schleien, Zander, Hecht und Forelle, zeitweise auch mit 33 Stören. Brut und Aufzucht erfolgte im klimatisch günstiger gelegenen Hof Roth bei Dierdorf (250 m). Die Umstellung im Management hat sich zugunsten von Kleinfischen wie dem Moderlieschen und dem hier neu festgestellten Bitterling ausgewirkt. Allerdings sind jüngst auch Zuwanderer beobachtet worden: der asiatische Blaubandbärbling und der Kamberkrebs aus Nordamerika.

Obwohl früher die Teichböden gekalkt und gedüngt wurden, haben sich an sonst unbelasteten Stellen natürliche Lebensgemeinschaften entwickelt. Der Südteil des See-Weihers sowie Brinken- und Haiden-Weiher konnten unter Naturschutz gestellt. Hofmanns- und Wölferlinger Weiher dienten als Angelgewässer, der Nordteil des See-Weihers, Post- und Hausweiher dem Wassersport.

Pflanzenwelt
Unter natürlichen Bedingungen wäre hier alles bewaldet, doch sollen schon im 12. Jahrhundert öde „Heideflächen“ bestanden haben. Maximilian Prinz zu Wied (1782-1867) – sein Denkmal steht beim Hausweiher – schildert jedenfalls eine weitgehend verbuschte Umgebung der Fischteiche. Erst forstliche Bemühungen in nassauischer und preußischer Zeit haben die waldartigen Kulissen geschaffen, die allerdings meist Fichten anstelle hier typischer Rotbuchen bilden.

An wenigen Stellen stockt kleinflächig auch Eichenmischwald. Hoffmanns- und Seeweiher sind teils von Forsten oder Gehölzen aus Schwarzerle, Grauweide, Hänge-Birke oder Faulbaum, teils von Grünland umgeben. Der Bruchwald am Ostufer des Brinken-Weihers ist botanisch bemerkenswert als Fundort von Tannen- Bärlapp und Schlangenwurz (Sumpcalla). Zwischen der charakteristischen Langähren- Segge gedeihen Milzkräuter, erheben sich Polster von Bürsten- und Torfmoos.

Die flachen Uferzonen bedecken Röhrichte und Großseggen-Rieder. Bulten der Steif- und Zierlichen Segge, fast reine Schilfbestände, Rohrkolben und Teichsimse, gelegentlich auch Teich-Schachtelhalm, bestimmen das Bild der flachen Uferzonen. Zum Gewässer hin schließen in der Regel Kleinseggenrieder an.

Wasserpflanzen konnten sich während der fischereilichen Nutzung kaum entfalten. Dafür stellt die Schlammbodenflora eine Besonderheit dar mit Arten, die sich dem wechselnden Wasserstand angepasst haben. Das schaffen nur Pflanzen mit reichlich robusten Samen, die nicht „wählerisch“ bei ihrer Ausbreitungsweise sind, ob sie nun von Wind und Wasser oder durch Vögel verfrachtet werden.

In Spülsäumen breiten sich Pflanzen in unterschiedlicher Vergesellschaftung aus. Je nachdem erscheinen da Sumpf-Binse mit Wolfstrapp und Teich-Schachtelhalm, oder es breiten sich Fluren aus Spreizendem Hahnenfuß sowie Rasen des Strandling oder der Nadel-Binse aus. Eher periodisch erscheinen Schlammkraut mit Kröten-Binse, Dreiteiliger Zweizahn mit Ampfer-Knöterich und Fuchsschwanz, schließlich Zwergbinse mit Ei-Sumpfried und Zypergras-Segge.

Vogelparadies
Die abwechslungsreiche Vegetation einschließlich der extensiv bewirtschafteten Pfeifengras- und Mähwiesen, vor allem die zeitweise entstehenden Schlammflächen begünstigen eine artenreiche Vogelwelt. Inzwischen sollen 256 registriert worden sein.

Vom Rundweg sind außer Stockenten auch etliche ihrer Verwandten wie Tafel- und Reiherente sowie Blässhühnchen auf dem offenen Wasser leicht zu beobachten. Fischadler und Eisvögel erspähen ihre Beute im Flug oder vom Ansitz. In den Flachwasserzonen stochern Schreitvögel nach Nahrung, darunter neuerdings Silberreiher und Schwarzstorch.

Im Schutz des Schilfröhricht tummeln sich Schilf- und Sumpfrohrsänger, Kleines Sumpfhuhn und Wasserralle, Schreitvögel wie Rohr- und Zwergdommel. Rothals- und Zwergtaucher bauen Schwimmnester. Die Rohrweihe brütet und jagt im Schilf.

Das offene Ried bevorzugen Vögel wie Bekassine, Kiebitz, Flussregenpfeifer, Rotschenkel, der seltene Alpenstrandläufer. Zwischen Seggenhorsten gründen Lachmöwen schon mal regelrechte Brutkolonien. Als besonderes Spektakel wird der massenhafte Einfall von Zugvögeln, insbesondere von Kranichen erlebt.

Wo Weidengebüsch und Bruchwälder landwärts folgen, hört und sieht man den Grauspecht samt Verwandten und allerhand Singvögel. In den Forsten ringsum brüten Waldschnepfe und Turteltaube.

Wendezeit
Im Herbst 2019 hat die NABU-Stiftung vom Fürstenhaus zu Wied 228 Hektar Fläche erworben. In Zusammenarbeit mit dem Land Rheinland-Pfalz plant die NABU-Stiftung wasserbauliche Maßnahmen im Sinne des Naturschutzes. Dabei ist bestrebt, Anwohner und Ausflügler einzubinden. Vom Eigentümerwechsel sind nur wenige unmittelbar betroffen, zumal ihre Verträge gültig bleiben.

Die Campingplätze liegen außerhalb der Kaufflächen. Den Badebetrieb regeln bestehende Schutzgebietsverordnungen, an die auch die NABU-Stiftung gebunden ist.

Dem Vorhaben von Land, NABU, Gemeinden und örtlichen Akteure zur Besucherlenkung und Förderung eines „sanften“ Tourismus wird allerdings voller Erfolg erst dann beschieden sein, wenn den kulturgeschichtlichen Aspekten mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, als das bisher der Fall gewesen ist. Die Westerwälder Seenplatte ist eben primär Kulturlandschaft mit Natur aus zweiter Hand.

Der Autor:
Dr. Hermann Josef Roth aus Montabaur ist Theologe und Biologe, Kultur- und Wissenschaftshistoriker. Beruflich wirkte er als Studiendirektor in Köln. Aktiv in Naturschutz und Denkmalpflege gilt er als „bester Kenner des Westerwaldes“.

Bei dem Artikel „Westerwälder Seenplatte" handelt es sich um einen Beitrag aus dem aktuellen Naturschutz Magazin Nr. 01-2021 der Naturschutzinitiative e.V. (NI).
Wir danken der Naturschutzinitiative (NI) und Dr. Hermann Josef Roth für die Genehmigung zur Veröffentlichung. Mehr Infos unter: www.naturschutz-initiative.de.

     
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