NR-Kurier
Ihre Internetzeitung für den Kreis Neuwied
Nachricht vom 03.11.2020
Region
Schlag gegen organisierte Schwarzarbeit - auch in Dierdorf
Die Staatsanwaltschaft Koblenz führt gegen 15 männliche und zwei weibliche Beschuldigte im Alter von 30 bis 75 Jahren Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt sowie des Betruges beziehungsweise der Beihilfe zu diesen Taten. Eine Spur führt nach Dierdorf.
SymbolfotoDierdorf/Koblenz. Zwei Beschuldigte, ein 75-jähriger Deutscher und eine 63-jährige Deutsche aus der Region Koblenz, sind verdächtig, seit 2015 gewerbsmäßig mittels sogenannten Servicefirmen Abdeckrechnungen in großem Umfang erstellt und in den Verkehr gebracht zu haben. Dadurch sollen sie es ihren Auftraggebern ermöglicht haben, Schwarzarbeit in der Baubranche zu verschleiern und zu finanzieren. Die von den beiden Beschuldigten betriebenen Firmen haben ihren formellen Sitz in Limburg an der Lahn.

Tatsächlich befinden sich die Büroräume in Dierdorf. Die Firmen sollen den Geschäftsbetrieb eines Bauunternehmens lediglich vorgetäuscht, tatsächlich aber als sogenannte Servicefirmen Abdeckrechnungen erstellt haben. Gegenstand solcher Rechnungen sind angebliche Subunternehmerarbeiten. Die in Rechnung gestellten Leistungen sollen indes nicht erbracht, sondern nur vorgetäuscht worden sein.

Es besteht der Verdacht, dass die Rechnungsempfänger die fingierten Rechnungen trotzdem beglichen, weil die Betreiber der Servicefirmen ihnen die Gelder unmittelbar nach Überweisung abzüglich einer Provision bar zurückzahlten und die Rechnungsempfänger die in Rechnung gestellten, fingierten Subunternehmerleistungen als Betriebsausgaben verbuchen konnten. Dadurch sollen erhebliche Bargeldbeträge zur Verfügung gestanden haben, um Löhne zu zahlen, ohne Sozialversicherungsbeiträge oder Beiträge in die Sozialkasse der Bauwirtschaft abzuführen. Der den beiden Betreibern der Servicefirmen zur Last gelegte Gesamtschaden soll rund 30 Millionen Euro betragen.

Bei den übrigen Beschuldigten handelt es sich zum einen um Angestellte der Servicefirmen, zum anderen um die Käufer der Abdeckrechnungen. Die Käufer der Abdeckrechnungen stehen in Verdacht, als Geschäftsführer oder Inhaber von überwiegend in Nordrhein-Westfalen ansässigen Bauunternehmen mittels dieses Systems Bauaufträge teilweise mittels Schwarzarbeit ausgeführt und sich dadurch zugleich große Wettbewerbsvorteile gegenüber redlichen Unternehmen verschafft zu haben. Der den Rechnungskäufern zur Last gelegte Schaden beträgt je Firma circa eine Million Euro, im Fall eines in Siegburg ansässigen Bauunternehmens sogar circa neun Millionen Euro.

In den frühen Morgenstunden des 4. November 2020 haben im Auftrag der Staatsanwaltschaft Koblenz mehr als 500 Einsatzkräfte der Hauptzollämter Koblenz und Gießen in Zusammenarbeit mit der Steuerfahndung Koblenz insgesamt 73 Wohnungen und Geschäftsräume in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Hessen durchsucht.

Dabei konnte umfangreiches Beweismaterial sichergestellt werden. Außerdem wurden vorläufige vermögensabschöpfende Maßnahmen ergriffen, indem beträchtliche Vermögenswerte gesichert und die Bankkonten der beteiligten Firmen sowie deren Forderungen gegen ihre Auftraggeber gepfändet wurden. Zum Einsatz kamen auch Spezialkräfte des Zolls für IT-Forensik und Vermögensabschöpfung. Zudem suchten Bargeldspürhunde des Zolls in mehreren Durchsuchungsobjekten nach verstecktem Geld. Bei zwei Beschuldigten konnte Bargeld in sechsstelliger Höhe sichergestellt werden. Bei einem Beschuldigten wurde eine Schusswaffe gefunden, für die er die erforderliche waffenrechtliche Erlaubnis nicht besitzen soll.

Gegen insgesamt sechs Beschuldigte, vier deutsche Staatsangehörige, darunter die beiden Betreiber der Servicefirmen, einen serbisch-kosovarischen und einen bulgarischen Staatsangehörigen wurden Haftbefehle des Amtsgerichts Koblenz vollstreckt. Sie werden heute der zuständigen Ermittlungsrichterin vorgeführt. Die weiteren Ermittlungen werden noch einige Zeit in Anspruch nehmen. (PM/red)

Rechtlicher Hintergrund

Wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt macht sich gemäß § 266a StGB strafbar, wer als Arbeitgeber der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält. Das Delikt ist mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren, in schweren Fällen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe bedroht.

Wegen Betruges macht sich gemäß § 263 StGB strafbar, wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält. Der Betrug ist ebenfalls mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, in schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bedroht.

Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufzunehmen, sofern ihr zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür bekannt werden, dass eine verfolgbare Straftat begangen worden ist. Ein Haftbefehl wird erlassen, wenn gegen einen Beschuldigten ein dringender Tatverdacht und ein Haftgrund bestehen. Der Haftbefehl dient allein der ordnungsgemäßen Durchführung des staatsanwaltschaftlichen und, sofern es zur Anklageerhebung kommt, des gerichtlichen Verfahrens. Weder die Aufnahme von Ermittlungen noch der Erlass eines Haftbefehls bedeuten mithin, dass gegen den Verhafteten bereits ein Tatnachweis geführt ist oder zu führen sein wird. Für alle Beschuldigten gilt weiterhin die Unschuldsvermutung.

Nachricht vom 03.11.2020 www.nr-kurier.de