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Nachricht vom 21.09.2019
Kultur
Jürgen Becker weiß, was das Volk in Neustadt begehrt
Der Kölner Kabarettist fühlte sich in der Wiedparkhalle am Samstagabend (21. September) direkt heimisch, weil Neustadt/Wied einen Karnevalsverein besitzt. „Karnevalisierung heißt Umkehrung, der König wird Narr und der Narr wird König. So ist die Welt im Moment auch: Die Machos an der Macht richten Unheil an. Wir freuen uns, wenn es mal nicht klappt, wie bei Strache. Ha!“ Meistens ging es in Beckers Programm eindeutig zweideutig ums Begehren, denn der Titel lautete „Volksbegehren“.
Kabarettist Jürgen Becker in der Wiedparkhalle. Fotos: Wolfgang TischlerNeustadt/Wied. Was begehrt das Volk? Richtig: Sex! Nicht nur das Volk, die gesamte Natur ist auf Fortpflanzung programmiert. In einem wortstarken Parforceritt durch die Evolution zeigte Becker die vielen Varianten der Fortpflanzung auf, vom hirnlosen Einzeller, der sich einfach in der Mitte teilt, über das Blattlausmädchen, das ohne Mitwirkung eines Lausbuben Nachkommen zeugen kann und prunkvoll befiederte Wesen wie Hähne und Dreigestirn bis zum Homo Sapiens. In dessen Kulturgeschichte der Fortpflanzung ist es die größte Leistung, keinen Sex zu haben. In den enthaltsamen Phasen wurden große Erkenntnisse gewonnen, Sokrates und Pythagoras lassen grüßen.

Jesus ist ohne Sex durch Pathogenese oder Jungfrauengeburt entstanden, aber seitdem es geschlechtliche Fortpflanzung gibt, kommt beim Sex das Tier im Menschen zum Vorschein. Wegen der gleichzeitigen Sexgier und Scham hat der Mensch die Gürtellinie erfunden, die nicht oder gerade doch überschritten werden darf. Warum es überhaupt Sex gibt, belegte Becker glasklar mit der Prämisse, dass die älteste Beziehung die Feind-Beute-Beziehung ist: Bakterien und Viren wollen uns umbringen, aber wenn durch Sex aus zwei verschiedenen Lebewesen ein komplett neues entsteht, sind die Bakterien ratlos. Also entstand sexuelles Verhalten als Feind-Abwehr!

Jürgen Becker zeigte Verbindungen auf, die logisch, skurril und witzig waren. Sultan Mulai Ismail, Franz Beckenbauer, Birken, Raubmilben, Hera und die Wolke 7, Ganymed, farbenfrohe Guppys und Geld in der Nachttischschublade passen aufs Lustigste zu wissenschaftlichen Untersuchungen des Verhaltens von Männern und Frauen in einem dunklen Raum und Statistiken über die Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs. Belegt wurden die Beckerschen Thesen durch Bilder aus Mythologie und Kunstgeschichte, die viel nackte Haut zeigten.

Wichtig ist Humor beim Mann. Sigmund Freuds Strukturmodell mit dem Es, dem Ich und dem Über-Ich heißt in Köln „Mich, dat und Övver mich“. Das Övver mich, dat, wat de Nachbarn övver mich saan, unterdrückt die Triebe. Humor zeigt sich in den Freudschen Fehlleistungen, wenn man versehentlich sagt, was man eigentlich machen möchte.

Entsprechend dem Volksbegehren, wird Sex auch im Wahlkampf immer wichtiger. Wahlplakate beweisen das. Trotzdem: Nicht jedes Bundesland kann einen Bikini tragen. Und die Abkürzung CSU bedeutet anscheinend „chronisch sexuell unterversorgt“.

Höchste Lust und tiefster Abgrund entstehen durch Sex, der in der Öffentlichkeit heute noch strafbar ist. Der Liebesakt wird nie so alltäglich sein wie essen und trinken. Sex und Religion haben dieselbe Intention: etwas schaffen, das bleibt. Die leibfeindlichen Christen haben die Idee zu Gott gemacht und den Sex verteufelt.

Es gibt für Jürgen Becker einen logischen Grund, warum Frauen immer älter werden: Ihre biologische Aufgabe ist es, Großeltern zu sein. Also müsste man das Betreuungsgeld auf die Rente draufpacken. Eine weitere unwiderlegbare Feststellung lautet: Sex ist für Männer Stress! Das biologische Gesetz, dass das Männchen balzen und hinter dem Weibchen herlaufen muss, gelte auch im Saal, unkte der Kabarettist: „Die Männer sind hier, weil die Frauen die Karten besorgt haben.“

Zum Trost gab Becker zum Abschluss für alle Männer und Frauen im Saal eine Runde Kölsch aus. Labsal für die trockengelachten Hälse. htv
       
 
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