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Nachricht vom 05.07.2017
Region
Rennkisten-Schmiede gewährte Blick hinter die Kulissen
Großer Andrang beim Tag der offenen Tür des Jobcenter-Projekts “Neuwieder Zukunftskisten” Wie nennt sich das? „Neuwieder Zukunftskisten“? Und die sitzen da, wo früher der Luchterhand-Verlag war, in der Heddesdorfer Straße? Mit Kisten oder Büchern hat es jedenfalls wenig bis gar nichts zu tun. Eher schon mit Rennwagen. Wenn auch kleinen und ohne Motor. Genau gesagt sind es Seifenkisten, die hier gebaut werden.
Die Vorstufe eines umweltfreundlichen „Rennwagens“: Das Team um Schreinermeister Tino March (links) mit einer halb fertigen Seifenkiste. Am 2. und 3. September wird sie ihre Belastungsprobe im Rennen bestehen müssen. Foto: prNeuwied. Und gleichzeitig geben alle, die am Bau dieser “Zukunftskisten” beteiligt sind, Gas, was ihre berufliche Zukunft angeht. In diesen Tagen hatte das Projekt die Öffentlichkeit zum Besichtigen eingeladen. Viele Besucher sahen sich die Seminarräume und Werkstätten an, in denen die Gesellschaft zur Förderung Beruflicher Integration im Auftrag des Jobcenters Neuwied Menschen unterstützt, wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Gefördert wird das Projekt durch das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Rheinland-Pfalz, den Europäischen Sozialfonds und das Jobcenter.

Einer der Teilnehmer kommt täglich aus Anhausen in die Heddesdorfer Straße, um hier an der Vorbereitung des großen Seifenkistenrennens mitzuarbeiten, das Anfang September im Schlosspark von Bendorf-Sayn stattfindet. Schon länger ist der Mann, bereits über 50, ohne Beschäftigung. Im Projekt Zukunftskisten hat er wieder eine Aufgabe und Mut gefunden, sich um Arbeit in seinem erlernten Beruf als Schlosser zu kümmern.

Ein anderer Teilnehmer hilft in der Eventabteilung des Seifenkistenrennens mit. Er ist Tontechniker und strebt eine Anstellung bei einem Radio- oder Fernsehsender an. In der Eventabteilung wird das Seifenkistenrennen organisiert. Hier werden die Planung der Strecke, die Gewinnung der Sponsoren und die kaufmännische Abwicklung erledigt. Dazu gehören Aufgaben wie: Erstellen von Sponsorenmappen, Erstellen von Flyern und Plakaten (Marketing) und auch ein Telefontraining für die anschließende Gewinnung von Sponsoren.

Im Keller des Luchterhand-Gebäudes haben die Praktiker das Sagen. Hier werden die Zukunftskisten “in echt” aus Holz gebaut. Schreinermeister Tino March sorgt dafür, dass aus tollen Ideen auch brauchbare Fahrzeuge werden. Schließlich sind die Seifenkisten an den beiden Renntagen ziemlichen Belastungen ausgesetzt: Leicht- und manchmal auch schwergewichtige Fahrer sausen mit 40 Stundenkilometer die steile Rampe hinab, die auf die Rennstrecke durch den Schlosspark führt. Schreinermeister March zeigte den Besuchern, wie die Zukunftskisten-Teilnehmer die kleinen Rennkisten zusammen bauen: “Wir haben die verschiedenen Stationen aufgebaut, die die Entstehung der Seifenkisten darstellen.

Es fängt an bei den Bodenplatten mit Ausfräsen und Vorbereiten der weiteren Bearbeitung. Die Verplankung an den Seiten besteht aus fünf Millimeter dickem Sperrholz. Der Rest wird aus Dreischicht-Platten gemacht. Wenn die gefräst und vorbereitet sind, werden die Metallteile für das Lenk- und das Bremssystem montiert. Später kommt man nämlich nicht mehr dran. Die Metallteile bestellen wir beim Deutschen Seifenkistenverband. Wenn das alles eingebaut ist, wird das Gestell gebaut und alles wird verplankt. Danach wird der Fahrzeugkörper gespachtelt und zweimal lackiert, damit die Folierung gut hält. Zwei Wochen vor Rennbeginn kommt der Folierer und foliert jede einzelne Kiste im jeweiligen Design von den Sponsoren oder teilnehmenden Vereinen.”

Beim Bau der Seifenkisten gibt es keinen Zeitdruck. Entscheidend ist die Qualität der fertigen Produkte. Und die persönliche Entwicklung der am Bau beteiligten Männer und Frauen. Tino March sagt: “Die Teilnehmer sollen mitgenommen werden, sie sollen etwas lernen und ein ordentliches, fertiges Produkt abliefern und sich daran auch erfreuen. Das klappt sehr gut!” Der Handwerksmeister verlangt nicht, dass seine Teilnehmer als fertige Tischler das Projekt verlassen, aber: “Sie sollen ein bisschen was dazu lernen und vor allem sollen sie lernen, sauber und ordentlich zu arbeiten. Das ist mir am wichtigsten. Ganz egal, wie lange es dauert, wenn es am Ende eine ordentliche Arbeit ist.”

Dieses Jahr werden im Luchterhand-Haus für das Rennen im September acht Seifenkisten gebaut. 2016 kamen dreizehn kleine Rennwagen aus der Werkstatt von Tino March und seinen Leuten. Viele davon nehmen dieses Jahr wieder am Rennen teil. Die Sponsoren dürfen ihre erworbenen Kisten behalten.

Und wie sehen die Teilnehmer selbst das Projekt? Kevin (25) sagt: “Man lernt hier, in der Gemeinschaft zu arbeiten. Man arbeitet hier nicht für sich alleine. Und wir tun hier auch etwas Gutes, denn über die Aktion werden Spenden gesammelt. Und dazu tragen wir etwas bei. Man hilft uns bei den Bewerbungen schreiben, das ist natürlich auch wichtig. Wenn man dabei unterstützt wird, ist alles leichter. Ich lerne hier auch handwerklich neue Sachen.” Kevin hat bereits eine Arbeit als Schreiner hinter sich, danach ein Jahr gearbeitet, dann aber die Stelle verloren. Mit den Zukunftskisten nimmt er einen neuen Anlauf in seinem erlernten Beruf. Auf jeden Fall will er Schreiner bleiben: “Es ist ein schöner Beruf. Abends sieht man, was man geschafft hat.”

Was sie geschafft hat, sieht auch Gabriela. Sie beschäftigt sich mit Brandmalerei auf Holz. Die Arbeit gefällt ihr gut: “Zuhause erledige ich schon einige handwerkliche Dinge. Aber das hier ist eine neue Welt für mich. Ich entdecke Seiten an mir, die ich vorher nicht kannte, versteckte Talente sozusagen. Um das aber beruflich einzusetzen, müsste ich eine Ausbildung machen. Ich bin aber schon gelernte Friseurin und Altenbetreuerin, habe also schon zwei Berufe.” Mit Unterstützung der Neuwieder Zukunftskisten wird die zweifache Mutter bald wieder einen Job haben, davon ist sie fest überzeugt.

Dabei helfen Linda Kessler, die Mitarbeiterin der GFBI und Leiterin des Projekts, und ihre Kollegen. Linda freut sich über die vielen Besucher beim Tag der offenen Tür: “Vom Jobcenter waren viele da, auch externe Besucher aus der Stadt und der Region, ein paar Firmeninhaber, Kollegen von Partnerprojekten der GFBI und einige Familienangehörige unserer Teilnehmer.” Aktuell nehmen 26 Männer und Frauen am Projekt “Neuwieder Zukunftskisten” teil. Sie kommen aus den verschiedensten Orten im Kreis Neuwied. Manchmal ist ein ganz schön weiter Weg, bis die gravierendsten Hindernisse aus dem Weg geräumt sind und wieder an ein selbstbestimmtes Leben mit eigenem Einkommen zu denken ist.

Linda nennt das Beispiel eines jungen Mannes, der jahrelang obdachlos war, dann aber mit Hilfe des Projekts eine Ausbildung als Orthopädieschuhmacher begann und auch abgeschlossen hat. Ein anderer Teilnehmer war gesundheitlich sehr eingeschränkt, hatte keine sozialen Kontakte mehr und kaum noch das Haus verlassen. Über die Zukunftskiste hat sich seine gesundheitliche Situation sehr verbessert, er hat sein Gewichtsproblem in den Griff bekommen, hat wieder einen Job, ein eigenes Auto, führt wieder ein geregeltes Leben und ist in der Freizeit in einem Verein integriert.

Linda: “Bei uns geht es nicht nur darum, Bewerbungen zu schreiben, sondern auch nach gesundheitlichen oder anderen Problemen zu schauen, die eine erfolgreiche Eingliederung in den Arbeitsmarkt verhindern. In der Hinsicht arbeiten wir sehr individuell. Dazu gehört zum Beispiel auch die Vermittlung zur Schuldnerberatung.”

Das Projekt „Neuwieder Zukunftskisten“ wird finanziert aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds, des Landes Rheinland-Pfalz und des Jobcenters Neuwied. Mehr Informationen gibt es auf Facebook, https://www.facebook.com/racedaytalentboerseneuwied.
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