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Nachricht vom 04.10.2025
Region
Memorabilia IV: Der Scharfrichter und sein Henker
Die frühe Neuzeit ist geprägt von religiösen Grundsatzkonflikten und Existenzkämpfen, deren extremste Auswüchse noch über Jahrhunderte den Kern hiesiger Schauermärchen liefern werden. Grade die oft fälschlicherweise im Mittelalter verorteten Hexenprozesse gelten schon kurz nach ihrer Abschaffung als abschreckendes Beispiel für den religiösen Wahn der Zeit. Am Rande des Westerwalds kommt es im 17. Jahrhundert zu grotesken Szenen, in denen selbst der Siegburger Scharfrichter als Zauberer hingerichtet wird.
Kupferstich aus dem 18. Jahrhundert.Siegburg/Westerwald. Ehre sei Gott, carissimi legentibus. Nachdem in der letzten Ausgabe der Memorabilia die versunkene Geschichte der ersten Zerstörung Altenkirchens wieder ausgegraben wurde, führt der Weg dieses Mal in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts – mitten in den Dreißigjährigen Krieg.

Dieser verheerende Konflikt, der schätzungsweise bis zu 40 % der Menschen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation das Leben kostete, war vor allem ein Resultat der religiösen Entwicklungen der vergangenen Jahrhunderte. Seit dem Spätmittelalter – vermutlich bedingt durch die sozialen Umwälzungen der großen Pestepidemie – wurde die katholische Kirche verstärkt von extremen Eiferern überflügelt, die dann und wann ernsthafte Reformbewegungen ins Leben riefen. Die Folge war eine zunehmende Radikalisierung beider Seiten, bei der nach den Hinrichtungen von Jan Hus und Girolamo Savonarola die katholische Kirche zunächst die Oberhand behielt.

Im 16. Jahrhundert aber wurde der Druck durch Galionsfiguren wie Calvin und Luther zu groß und die Reformation war schließlich nicht mehr abzuwenden. Zusammen mit den anderen radikalen Umbrüchen in diesen Jahren bestand durchaus ein gar nicht so weit hergeholter Anlass für die bürgerliche Endzeitstimmung zu Beginn der frühen Neuzeit. Weiteres Feuer fand der religiöse Grundsatzkonflikt zwischen Traditionalisten und Reformatoren durch die Erfindung des Buchdrucks, womit nun einem tatsächlichen Propagandakrieg nichts mehr im Wege stand. Dass eine Situation, in der jede Seite ihr Gegenüber für das wahrhaft Böse hält, nur schwerlich auf friedlichem Wege gelöst werden kann, liegt auf der Hand. Daher war der Dreißigjährige Krieg ab 1618 im Grunde auch nur eine Frage der Zeit.

Optimale Voraussetzungen für religiösen Terror
Im Jahr 1636 hat der Krieg seinen Zenit schon überschritten: Heroen wie Wallenstein oder der Löwe aus Mitternacht, Schwedenkönig Gustav II. Adolf, sind längst tot. Das Land liegt brach, ganze Landstriche sind entvölkert. Seuchen und Katastrophen haben das Leid nur noch gemehrt. Es sind Situationen wie diese, in denen sich eine Bevölkerung in die Religiosität oder in Endsiegphantasien flüchtet, um dem Elend der Realität zu entgehen. Ist nun aber die Religion der Auslöser des Konflikts und eine seiner Hauptfacetten eine wortwörtliche Dämonisierung des ideologischen Opponenten, werden Religion und Phantasie schnell zum Wahn. In Situationen wie diesen sind es für gewöhnlich Juristen und Denunzianten, die diesen Wahn in staatlichen Terror transformieren. Kannte das römische Recht noch Vorkehrungen, dies zu verhindern, und Denunzianten wie Richter durch mögliche spätere – und direkte – Haftbarmachung (und vor allen Dingen Verantwortlichmachung) an moralische Standards zu fesseln, ist dieser Grundgedanke über die Jahrhunderte leider verloren gegangen. So lag der Karriere von Männern wie Franz Buirmann kein Stein mehr im Weg.

Ein steiler Aufstieg
In Euskirchen im ausgehenden 16. Jahrhundert geboren, legte Buirmann einen für die meisten Zeitgenossen schier undenkbaren Aufstieg hin: Aus einfachen Verhältnissen kommend, erklomm er in Köln die akademische Leiter und promovierte zum Doktor der Juristerei. Über den Umweg Alfter wurde der hagere Kahlkopf 1628 als Schöffe an das Bonner Hochgericht berufen.

Aufgrund seiner Promotion, die für das Amt obligatorisch war, wurde er in der Folgezeit als ‚Hexenkommissar‘ auf kurkölnischem Hoheitsgebiet eingesetzt. So bereiste er als ebensolcher in den folgenden Jahren die Region und unterstützte mit seiner ‚Expertise‘ offiziell die örtlichen Gerichte.

Ein erster Eklat
Doch schon 1631 kam es zum Eklat: Nicht nur ging er in seiner Rolle als ‚Hexenkommissar‘ in Rheinbach mit äußerster Brutalität vor, er erpresste sich gar Blanko-Haftbefehle von den festen Schöffen der Stadt und terrorisierte daraufhin den Ort. Er ließ Schöffen und ihre Angehörigen verurteilen, soll private Konkurrenten belangt haben und bereicherte sich ganz offen an den wohlhabenden Opfern seiner Urteile. Unter anderem ließ er den ehemaligen Bürgermeister Rheinbachs, Hilger Lirtzen wegen angeblicher Zauberei foltern und hinrichten. In seinen fünf Monaten vor Ort wurden mindestens zwanzig Menschen von ihm in den Tod geschickt. Wegen Korruption und bewiesener Verfahrensfehler wurde er daraufhin suspendiert, später aber begnadigt.

Ein grotesker Beginn in Siegburg
1636 berief man Dr. Franz Buirmann und seinen Kollegen Dr. Kaspar Liblar nach Siegburg. Ihr erster Fall war der der Kunigunde Meurer. Ein gewisser Christian Lindlahr beschuldigte sie, ihm durch eine Berührung zunächst die Potenz und später die gesamte Lebenskraft geraubt zu haben. Noch auf dem Totenbett ließ er einen Gerichtsdiener rufen und formulierte seine Klage.

Meurer bestritt die Vorwürfe und versicherte, Lindlahr niemals berührt zu haben. Nachdem sich Zeugen fanden, die eben doch eine Berührung gesehen haben wollten, wurde sie verhaftet. Da auch die Untersuchung auf Stigmata diabolica (etwa auffällige Muttermale) für sie nachteilig verlief, musste sie als nächstes einen Exorzismus über sich ergehen lassen. Auch hiernach beteuerte Kunigunde Meurer ihre Unschuld.

Der fragwürdige Weg zum Geständnis
So war es nun Zeit für die ‚peinliche Befragung‘ oder neudeutsch: Folter. Das war die Aufgabe des Siegburger Scharfrichters und Arztes Dr. Hansen. Hansen stach ihr Nadeln in die entdeckten Male, legte ihr Beinschrauben an und prügelte sie mit Ruten – ohne Erfolg. Meurer gestand nicht. Also legte Hansen noch einen Gang zu, bis sie schließlich nachgab.

Unter unvorstellbaren Schmerzen gestand die Gepeinigte noch den selten dämlichsten Stuss. Unter anderem erzählte sie, wie der Teufel sie in Gestalt eines Werwolfs verführen wollte, sie ihm jedoch einen Korb gab. Später kam er in Form eines klobigen Schuberts zu ihr und schaffte es, dass sie sich von Gott lossagte. Auf die Zusage, von weiterer Folter verschont zu bleiben, machte sie weitere Geständnisse: So habe sie an diversen Hexentänzen partizipiert und hätte durch den Teufel die Fähigkeit verliehen bekommen, ‚Unheil‘ zufügen zu können. Dafür müsse sie mit einer Holunder-Rute in der linken Hand den Namen Satans beschwören. Gott sei Dank hatte sie bei ihrer Verhaftung keinen Holunderstab dabei.

Vergeblich bat Meurer um Vergebung: Die Hexenkommissare verurteilten sie zum Tode durch den Strang mit anschließender Verbrennung. Das war der Normalfall in Hexenprozessen. Vollstreckt wurde das harte Urteil von Dr. Hansen.

Jahre des Terrors
Bis 1638 sollten noch mindestens 37 weitere Prozesse dieser Art folgen. Nicht immer waren die Vorwürfe derart lächerlich. Meist handelte es sich um Folgeprozesse aus den Denunziationen vorausgegangener Foltergeständnisse a la: „X und Y waren ebenfalls mit mir bei dem Hexentanz.“ Hierbei kam es übrigens vor, dass die Delinquenten die Namen prominenterer Bürger nannten. Diese scheinen aber nicht wirklich belangt worden zu sein. Die Prozedur jedenfalls war (fast) immer dieselbe: Anschuldigung – Befragung – Untersuchung – Exorzismus – Folter bis zum Geständnis – Hinrichtung.

Ein bisschen Tragikomik
Der letzte Prozess im Jahr 1638 steht im Grunde sinnbildlich für den seltsam wahnhaften Charakter der ganzen Geschichte: Dr. Hansen, der Scharfrichter und Foltermeister, war wie erwähnt auch als Arzt tätig. Mit seinen Arzneien versorgte er Mensch und Tier. Doch war er dabei offenbar nicht sonderlich geschickt. Es kam, wie es kommen musste.

Hansen wurde beschuldigt, Giftmischer zu sein und Patienten zu verfluchen. Er wurde verhaftet und durfte seinen Nachfolger kennenlernen. Der entlockte ihm die wildesten Geständnisse. So sei Hansen vom Teufel in Gestalt einer jungen Frau verführt worden; er habe mit den zuvor verurteilten Hexen diverse Hexentänze gefeiert – dahin flöge er mit einem magischen Knüppel; er habe zig Menschen und Tiere mit seinen Tränken vorsätzlich vergiftet; er habe die Mutter eines Edelmannes beleidigt.

Wie die anderen Verurteilten zuvor endete auch Doktor Hansen am Strang, bevor seine sterblichen Überreste verbrannt wurden.

Unglaublich – aber wahr
Obgleich die Geschichte ob ihres grotesken Charakters unglaublich wirkt, so ist sie doch recht gut verbürgt. Die Prozessakten der Siegburger Hexenprozesse sind archiviert und noch heute einsehbar. Über die Machenschaften Franz Buirmanns berichtet Hermann Löher in seiner Klageschrift Hochnötige Unterthanige Wemütige Klage Der Frommen Unschültigen. Löher war einer der Rheinbacher Schöffen und floh 1636 ins Exil nach Amsterdam.
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