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Nachricht vom 28.11.2022
Region
Angeklagte bestreitet, 91-Jährigen im Altenheim betäubt und ausgeraubt zu haben
Nachdem die 42-jährige Altenpflegehelferin am ersten Prozesstag bei der 10. Strafkammer des Landgerichts Koblenz von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatte, wollte sie sich nun am Fortsetzungstermin zur Sache äußern. Zu diesem Termin war auch der 91-jährige Heimbewohner erschienen, der zu den Umständen, wie es zum Raub kam, befragt werden sollte. Der NR-Kurier berichtete.
Fotograf: Wolfgang RabschNeuwied/Koblenz. Kurze Zusammenfassung der Anklage der Staatsanwaltschaft Koblenz
Die Altenpflegerin soll im Mai 2022 als Mitarbeiterin in einem Altenpflegeheim im Kreis Neuwied einen damals 90 Jahre alten Bewohner mit einem starken Beruhigungsmittel bewusstlos gemacht haben, um ihm dann Bargeld in Höhe von zumindest 38.100 Euro zu stehlen. Das Tatopfer soll über mehrere Stunden bewusstlos gewesen und anschließend drei Tage im Krankenhaus behandelt worden sein. Zudem sei noch eine Geldbörse mit etwa 250 Euro Inhalt gestohlen worden.

Die Angeklagte erklärte, dass zu dem 91-Jährigen durch ihre Pflegetätigkeit ein regelrechtes Vertrauensverhältnis entstanden sei. Sie habe für ihn Einkäufe getätigt, Pflegeartikel, Unterwäsche und Medikamente gekauft. So habe sie auch von dem Hausverkauf erfahren, der Heimbewohner habe ihr sogar den Notarvertrag vorgelegt zum Durchlesen und fragte sie sogar, ob sie seine Geldkarte zum Abheben der Kontoauszüge nehmen wolle. Er bat sie auch, ihr 50- oder 100-Euro-Scheine in kleinere Scheine umzuwechseln, was sie auch tat. Daher wären die bei der Hausdurchsuchung vorgefundenen Scheine möglicherweise mit ihren Fingerabdrücken bestückt, weil sie diese in der Hand gehalten habe. Die Verabreichung einer Flüssigkeit, mit der die Betäubung des Heimbewohners erreicht werden sollte, bestritt die Angeklagte vehement, da sie nie Medikamente verabreichen würde, die nicht vom Arzt angeordnet wären.

Zusammenbruch bei eigener Aussage – theatralisch oder echt?
Auf die Frage des Vorsitzenden, wie sie sich die Herkunft von rund 30.000 Euro erkläre, die bei der Hausdurchsuchung aufgefunden wurden, sagte die Angeklagte: “Mein Mann und ich hatten zusammen über 4.000 Euro monatlich netto, damit kamen wir klar. Doch ich habe heimlich über 21.000 Euro angespart, durch Putzstellen, Friseurtätigkeiten, Restaurantbedienung und Nageldesign, alles neben meiner Tätigkeit im Altenheim. Meinem Mann habe ich von dem Geld nichts gesagt, weil wir uns wegen des Geldes dauernd stritten. Er trinkt viel, immer wenn er genug getrunken hatte, dann drohte er, unseren Sohn und mich vor die Tür zu setzen.“

Als die Angeklagte aussagte, dass ihr Mann sich scheiden lassen wollte, wenn sie noch mal im Altenheim einen Insassen bestehlen würde, brachen bei der Angeklagten sämtliche Dämme. Sie brach schluchzend und weinend regelrecht zusammen, wie schon in der ersten Hauptverhandlung, und stammelte nur noch unverständliche Worte. Der Vorsitzende gewährte ihr die Zeit, sich zu beruhigen und zu sammeln. Dann fuhr die Angeklagte fort: “Ich liebe meinen Mann noch immer. Wenn ich verurteilt werde, dann verliere ich alles, Mann, Kind und Haus. Im Altenheim wird auch gemobbt, mir wurde zum Beispiel einmal in meinem Kakao ein Betäubungsmittel verabreicht, ich kam mir vor wie ein Zombie, sechs bis acht Stunden wusste ich nicht, was abging.“

Glasklare Aussage des 91-jährigen Opfers
Wer gedacht hatte, vor Gericht würde ein 91-jähriger “Tattergreis“ erscheinen, der hatte sich gewaltig getäuscht. Klar und unmissverständlich in seiner Aussage, sogar analytische Schlussfolgerungen ziehend und mit Wortwitz ausgestattet, verblüffte der Zeuge ein ums andere Mal die Anwesenden. “Der 8. Mai 2022 ist mir in guter Erinnerung, weil die Angeklagte mich praktisch dazu zwang, eine mir unbekannte Flüssigkeit zu trinken. Weil ich mich zunächst weigerte, drohte sie mir, sie würde so lange bleiben, bis ich getrunken hätte. Ich habe dann den Saft getrunken, sofort wurde mir speiübel. Ich schlief fest ein und kam erst im Krankenhaus wieder zu mir. Bei der Visite durch den Arzt habe ich sofort den Verdacht geäußert, ich wäre vergiftet worden. Am 7. Mai 2022 habe ich mein Geld sortiert, insgesamt 37.500 Euro, und zwar 19.000 Euro in 100-Euro-Scheinen, und 18.500 in 50-Euro-Scheinen. Wegen des Geldes hatte ich schon im Krankenhaus ein ungutes Gefühl, was sich bestätigte, als ich wieder in meinem Zimmer im Altenheim ankam. Das Geld war weg, aber die Dose war noch da. Das Geld hat keiner der Pfleger je gesehen, ich habe auch niemanden etwas davon gesagt.“

Für Schmunzeln und Heiterkeit sorgte der rüstige Zeuge, als er wörtlich sagte: “Auf meiner Etage habe ich zu anderen Mitbewohnern keinen Kontakt, da die mir zu alt sind. Ich habe mit der Angeklagten nie über meinen Notarvertrag gesprochen, was den Hausverkauf betraf, sie hat auch nie für mich große Geldscheine umgewechselt.“

Ein Kriminalbeamter, der bei der Hausdurchsuchung bei der Angeklagten zugegen war, berichtete, dass die Angeklagte die Frage verneinte, eine größere Summe Bargeld im Haus zu haben. “Sie fing sofort an zu weinen, als ich sagte, wir hätten einen Spürhund dabei, der das Geld ohnehin finden wird, doch sie blieb bei ihrer negativen Antwort. Wir fanden Schubladen vor, die randvoll mit originalverpackten Medikamenten und anderen Sachen wie Coronatests und Masken gefüllt waren. Als der Spürhund das Geld erschnüffelt hatte, begannen wir, es zu zählen. Es waren etwa 30.000 Euro, fast ausschließlich in 50- und 100-Euro-Scheinen, sauber sortiert und gebündelt. Auf unsere Frage, warum sie den Besitz des Geldes nicht angegeben hatte, erklärte die Angeklagte, dass sie das Bargeld im Haus vergessen hätte", schilderte der Zeuge.

Ein Gutachter der Rechtsmedizin Köln bestätigte, dass bei der Untersuchung von Blut-, Urin- und Haarproben des Geschädigten “Tavor“ nachgewiesen werden konnte. Tavor gehört zu den Benzodiazepinen und wird als Beruhigungs- sowie Schlafmittel (Tranquilizer) verwendet.

Der Prozess wird am 5. Dezember fortgesetzt und soll möglicherweise mit einem Urteil an diesem Tag beendet werden. Der NR-Kurier wird weiter berichten.
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