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Nachricht vom 30.11.2021
Politik
Gewalt ist nicht gleich Gewalt
Fachtagung des Runden Tisches Rhein-Westerwald im Rahmen des Rheinland-Pfälzischen Interventionsprojektes gegen Gewalt in engen sozialen Beziehungen.
Screenshot: Kreisverwaltung.Neuwied. Gewalt ist nicht gleich Gewalt ist. Es gibt nicht den Gewalttäter oder die Gewalttäterin. Das wird jedem, der mit gewalttätigen Menschen arbeitet, ganz gleich, ob an Gericht, Schule, KiTa oder Hilfeeinrichtung, schnell klar. Gewalttaten liegen unterschiedliche Motive zugrunde, die in der pädagogischen Arbeit Beachtung finden sollten. Welche sich in der Arbeit mit jungen Menschen unterscheiden lassen, erläuterte Winnie Plha, Soziologin und Projektleiterin bei der „Denkzeit-Gesellschaft“ bei einer Fachtagung des „Runden Tischs“ Rhein-Westerwald. Der freie Träger der Jugendhilfe entwickelt und evaluiert seit über 15 Jahren psychodynamisch fundierte, pädagogische Programme gegen Gewalt und Delinquenz, wendet diese bundesweit an und bildet Fachkräfte zu unterschiedlichen Themen weiter.

Plha erläutertem, dass die Wissenschaft grundsätzlich zwischen zwei wesentlichen Gewaltmotivationen unterscheidet: der affektiven und der instrumentellen. Instrumentell handelnde Gewalttäter zeichnen sich unter anderem durch fehlende Empathiefähigkeit, hohe Risikobereitschaft, Verantwortungslosigkeit und einer starken Ich-Bezogenheit aus. Taten begehen sie vorwiegend mit dem Ziel, die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Unter Beachtung des Kosten-Nutzen-Aspektes der Taten, kann mit ihnen mitunter erarbeitet werden, dass sich Straftaten nicht lohnen, sozial angemessenes Verhalten dagegen schon.

Komplexer sind die sogenannten affektiven Motivlagen. Sie können reaktiv sein, also eine meist direkte Antwort auf (vermeintliche) Provokationen oder Kränkungen sein und auch dazu dienen, diese Angriffe abzuwehren. Sie können aber auch intrinsisch sein. Der Täter hat dann unbewusste und unerträgliche innere Spannungen, zum Beispiel aufgrund eines sehr instabilen Selbstwertgefühls, und schreibt diese einem größtenteils zufällig gewählten anderen Menschen zu. Mit der festen Überzeugung, dass der „schon so guckt, als wäre ich nur Dreck“ begeht der intrinsisch motivierte Täter oft ungesteuerte, brutale Gewalttaten, unter denen es nicht selten zu dissoziativen Zuständen kommt.

Ausgehend von der Betrachtung der unterschiedlichen Motivlagen ergeben sich zwangsläufig unterschiedliche Strategien für Prävention und Intervention. Während für den einen ein hoher Preis für gewalttätiges Verhalten Abschreckung bedeutet, gilt es für den anderen, sein Umfeld richtig zu deuten und zum Beispiel einen Blick nicht als Provokation zu verstehen. Der intrinsisch motivierten Täter muss Projektionen und Traumafolgen verstehen sowie Notfallstrategien erlernen, um das Abgleiten in dissoziative, nicht steuerbare Zustände zu verhindern.

„Diese unterschiedlichen Motive finden sich auch bei der Gewalt in engen sozialen Beziehungen wieder“, betonte Beate Ullwer, Gleichstellungsbeauftragte des Westerwaldkreises, die gemeinsam mit ihrer Neuwieder Fachkollegin Doris Eyl-Müller die Fachtagungen für den Runden Tisch Rhein-Westerwald organisiert hatte. „Frühe Beziehungserfahrungen, die durch Gewalt, Missbrauch, körperliche oder psychische Vernachlässigung gekennzeichnet sind, stellen einen perfekten Nährboden für gewalttätiges Verhalten dar. Darum sind die sogenannten frühen Hilfen als Präventionsmaßnahme ebenso wichtig wie passgenaue Maßnahmen für Gewalttäter“, machte Doris Eyl-Müller deutlich. (PM)
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