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Nachricht vom 15.11.2021
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Ökologische Waldwende - Keine neuen Monokulturen im Wald!
Der Umweltverband „Naturschutzinitiative e.V. (NI)“ und zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fordern eine ökologische Waldwende, ein Ende der naturwidrigen Aufräum- und Aufforstungsprogramme sowie die Durchführung von FFH-Verträglichkeitsprüfungen in europäischen Schutzgebieten.
Kahlschlag Montabaurer Höhe. Foto: Harry Neumann/NIRegion. Die großflächigen Schäden in den deutschen Fichtenforsten ergeben eine dramatische Situation, bieten aber gleichzeitig auch Chancen für zukünftige Nachhaltigkeit. Es handelt sich überwiegend nicht um ein Waldproblem, sondern um ein Forstwirtschaftsproblem, da zumeist naturferne Wirtschaftsforste von der Trockenheit der letzten beiden Sommer und von dem Befall durch Borkenkäfer betroffen sind. Deswegen sollten jetzt richtige und zukunftsweisende Schlüsse beim Waldumbau gezogen werden.

1. Welche negativen Auswirkungen haben Monokulturen auf die biologische Vielfalt, auf Waldböden, den Wasserhaushalt und das Waldökosystem?
Intakte Waldökosysteme bestehen unter natürlichen Bedingungen aus Baumarten, die optimal an den jeweiligen Standort angepasst sind. Die Bäume sind demzufolge auch robuster. Vor allem Nadelhölzer wie die Fichte, die eigentlich im Norden Europas und im Hochgebirge zuhause ist, sind auf potenziellen Laubwald-Standorten oft im Reinbestand gepflanzt worden. Dadurch wurden die angestammten Laubwald-Arten verdrängt. Die Nadelstreu bildet eine Rohhumusauflage, in der das Bodenleben verarmt und die die Böden selbst extrem versauert. Zudem wird die Wasserspeicherkapazität der Böden herabgesetzt. Die Grundwasserneubildung ist unter Kiefern- und Fichtenforsten wesentlich geringer als unter Laubbäumen, wie Buchen. Das Ergebnis dieser hoch risikoreichen Plantagenwirtschaft erleben wir gerade jetzt in den Dürrezeiten.

2. Warum wurden zu bestimmten Zeiten so große Flächen mit Nadelbäumen bepflanzt?
Nadelhölzer, vor allem die Fichte, und in Nord- und Ostdeutschland die Kiefer, galten im 19. Jahrhundert bis weit in die Gegenwart hinein als wirtschaftlich lukrative „Brotbäume“ der deutschen Forstwirtschaft. Zunächst waren diese Nadelbaumflächen nur als eine kurze Übergangsphase gedacht, um den Waldanteil in den großflächig übernutzten und entwaldeten Landschaften zu erhöhen; später sollten langsamer wachsende Laubmischwälder folgen. Durch die schnellen wirtschaftlichen Erträge, die diese Bäume brachten, trat diese ursprüngliche Intention aber zunehmend in den Hintergrund.

3. Warum ist es besser, Kalamitätsflächen nicht zu räumen, sondern sich selbst zu überlassen?
Es sollten möglichst viele Schadflächen nicht mehr geräumt werden und für die nächsten 20 Jahre der Natur überlassen bleiben. Man kann auch differenzierter vorgehen und nur Teile der Flächen räumen oder nur das noch verwertbare Holz bergen, ohne zu stark in die eventuell vorhandene Verjüngung und in die Bodenstrukturen einzugreifen. Dabei muss aber bedacht werden: Je mehr Holz, also je mehr Biomasse, aus der Fläche entnommen wird, je stärker die Flächen auch außerhalb von bestehenden Rückegassen mit schwerem Gerät befahren werden, desto ungünstiger wirkt sich dies auf die Regenerationsfähigkeit des Bodens, insbesondere auf die Humusneubildung, die Wasserspeicherfähigkeit und die nachfolgende Waldentwicklung aus. Durch die Freilegung der Böden werden enorme Menge an CO2 freigesetzt, nach Studien der TU Dresden bis zu 140 Tonnen pro Hektar in zehn Jahren.

4. Was bedeutet natürliche Wiederbewaldung?
Diese Vorgehensweise ist die risikoärmste und noch dazu kostengünstigste Möglichkeit, eine standortangepasste Wiederbewaldung in Gang zu setzen. Auf solchen Flächen entsteht in relativ kurzer Zeit ein sogenannter Pionier- oder Vorwald aus kurzlebigeren Gehölzarten wie Birken, Weiden, Aspen, Ebereschen et cetera. Diese Arten schützen schnell den Boden und sorgen für Humusbildung. Unter ihrem Schirm wächst im Lauf der Zeit wieder ein naturnaher, gemischter Wald heran.

5. Was geschieht bei der Räumung der Nadelbaumforsten?
Es wird auf einem Schlag nahezu die gesamte Stamm-Biomasse durch den Einsatz schwerer Forstmaschinen abgeräumt. Dabei werden die Böden, wenn diese außerhalb der Rückegassen befahren werden, übermäßig verdichtet. Durch die stärkere Sonneneinstrahlung wird der Humusabbau angeregt, und Nährstoffe können verstärkt freigesetzt werden. Der praktizierte Ansatz dieser Räumung begünstigt aus ökologischer Sicht im Grunde die nächste Katastrophe.

6. Wie wirkt sich eine ökologische Waldwende aus? Gibt es Beispiele?
Eine Waldwende in dem Sinne, dass auf den betroffenen Flächen möglichst überhaupt nicht eingegriffen wird und die Wiederbewaldung auf diese Weise funktioniert, lässt sich sehr gut an Beispielen aus Nationalparks belegen, zum Beispiel dem Bayerischen Wald und dem Böhmerwald. Im Nationalpark Bayerischer Wald wurden die vom Borkenkäfer befallenen Fichten in den Kammlagen stehengelassen. Der Borkenkäferbefall ist schon nach kurzer Zeit von selbst zum Erliegen gekommen. Hohe Anteile an sich zersetzendem Totholz hat die Böden mit Humus angereichert und die Wasserspeicherkapazität deutlich erhöht. Auf dem Gebirgskamm wächst heute nach 30 oder 40 Jahren Regenerationszeit ein naturnaher, artenreicher Bergwald heran.

7. Warum sind alte Bäume wichtig für ein stabiles Ökosystem?
Zunächst einmal sind alte Bäume ein wichtiger Lebensraum für eine Fülle von Organismen, die im gesamten Netzwerk des Waldökosystems eine herausragende Rolle spielen. Die Vielfalt an Arten erhöht sich mit dem Alter beziehungsweise mit der Reife eines Waldes. Zudem speichert der Wald mehr Kohlenstoff.

8. Wie lassen sich Naturwald und Wirtschaft unter einen Hut bringen? Was wären gute forstwirtschaftliche Betriebsmodelle?
Schon vor 100 Jahren hat in Deutschland Alfred Möller mit seiner umfassenden, ganzheitlichen Dauerwaldidee den Grundstein für eine ökologisch nachhaltige Forstwirtschaft gelegt, die unsere heutigen Naturschutzansätze vom Boden- und Humusschutz über den Wasserhaushalt und das Bestandsklima bis hin zum Schutz der biologischen Vielfalt von der Bodenfauna über die Pilzflora bis zur Vogelwelt mitdenkt. Das wahrscheinlich bekannteste Beispiel ist das „Lübecker Modell“. Dort wird schon seit Mitte der 1990er Jahre erfolgreich ein Bewirtschaftungskonzept umgesetzt, das nach dem Prinzip des minimalen Eingriffs verfährt. Dies bedeutet, dass man auf größtmögliche Schonung der Waldböden achtet, Pflegemaßnahmen auf das Nötigste reduziert und Bäume einzeln erntet, wenn sie eine bestimmte „Reife“ erreicht haben. Grundsätzlich findet eine Verjüngung mit Baumarten statt, die auf dem jeweiligen Standort auch natürlich vorkommen würden. Die Holznutzung ist in die natürlichen Entwicklungsprozesse des Waldes integriert.

9. Welche Auswirkungen haben Waldverluste und Flächenräumungen auf Wildtiere?
Die massiven Eingriffe in den Lebensraum Wald, die aktuell aufgrund der Trockenschäden und des Borkenkäferbefalls stattfinden, verändern die Lebensstätten unserer heimischen Wildtiere. Die Rückzugs- und Versteckmöglichkeiten, potenzielle Ruheplätze und Nahrungshabitate der Tiere werden unter dem Einsatz großer Maschinen zerstört. Die Windwurfflächen der letzten drei Jahrzehnte bewiesen einen hohen tierökologischen Wert, da sie insbesondere in strukturarmen Fichtenforsten Vorzugsräume für streng geschützte Tierarten schaffen. Neben der Wildkatze gilt das auch für den Luchs und die Haselmaus, die jüngere Sukzessionsstadien in Wäldern bevorzugen.

10. FFH Verträglichkeitsprüfung in europäischen Schutzgebieten:
Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-Richtlinie

„(3) Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen einzelstaatlichen Behörden dem Plan oder Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört haben.“

Da die durchgeführten Kahlschläge einen erheblichen Eingriff in den Erhaltungszustand der Lebensraumtypen darstellen, erachten wir die Durchführung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung für zwingend erforderlich und die durchgeführten forstlichen Maßnahmen für rechtswidrig, da diese FFH-Verträglichkeitsprüfung unterblieben ist. Dies werden wir auch einer rechtlichen Prüfung zuführen, da der Beschluss des Oberverwaltungsgerichtes Bautzen vom 9. Juni 2020 diese Lesart unterstützt. Quelle: www.nukla.de/2020/06/gruene-liga-sachsen-und-nukla-stadt-leipzig-beschluss-des-ovg-bautzen-vom-9-6-2020/

Beispiel: Rheinland-Pfalz - Westerwald
Der Westerwald ist Teil des Rheinischen Schiefergebirges und durch sowohl nährstoffreiche als auch durch nährstoffärmere, saure Standorte geprägt. Die natürliche Waldvegetation wären Buchenwälder verschiedener Ausprägungen, insbesondere Hainsimsen- und Waldmeister-Buchenwälder. Die Auswahl forstwirtschaftlich nutzbarer Bäume sollte sich grundsätzlich an der Zusammensetzung der Arten orientieren, die natürlicherweise auf den jeweiligen Standorten vorkommen würden. Die Förderung der ökologischen Funktionstüchtigkeit unserer Wälder sollte im Vordergrund stehen, nicht der kurzfristig gedachte ökonomische Erfolg. Die Anpflanzung von standortfremden Douglasien, wie sie etwa in den Gemeinden Helferskirchen und Ransbach-Baumbach oder auf der Montabaurer Höhe zu beobachten ist, halten wir für den falschen Weg. Denn gerade der flächige Anbau von Douglasien hat wegen der geringen bis sogar negativen Grundwasserneubildung unter diesen Beständen verheerende Auswirkungen auf den Landschaftswasserhaushalt. Große Bereiche des Gemeindewaldes von Hillscheid sind FFH-Gebiet. Der Umgang mit Kalamitätsflächen und mit dem Ergebnis großer Kahlflächen stellt für den Erhaltungszustand dieser Buchenwälder ein großes Risiko dar und ist nicht nachhaltig. Absolut kontraproduktiv wäre es, auf nicht einheimische Baumarten wie die Roteiche zu setzen, da diese keine geeigneten Nahrungssubstrate für die heimische Insektenfauna darstellen. Andere Forstreviere der Region, zum Beispiel die der Verbandsgemeinde Selters, setzen hingegen weitgehend auf Naturverjüngung ohne standortfremde Baumarten. Zu begrüßen sind auch die Empfehlungen des Forstamtes Hachenburg und des Forstlichen Bildungszentrums für eine stärker ökologische Bewirtschaftung der Wälder.

Vor allem im FFH-Gebiet „Montabaurer Höhe“ wurden großflächige Fällungen auf Fichtenkalamitätsflächen vorgenommen, aber auch auf der Fuchskaute, einem bedeutenden europäischen Vogelschutzgebiet, sind die Eingriffe gravierend. Das halten wir für unverantwortlich und nicht mit dem Bundesnaturschutzgesetz vereinbar. Forstarbeiten, bei denen FFH-Schutzzwecke betroffen sind, erachten wir als rechtswidrig, da vor den forstlichen Maßnahmen keine FFH-Verträglichkeitsprüfungen stattgefunden haben.

Anmerkung: Die Pressemitteilung der NI wurde von der Redaktion gekürzt.
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