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Nachricht vom 15.09.2021
Region
Kehrtwende bei spektakulärer Vergewaltigung? Hat das „Opfer“ gelogen?
Damit hatte niemand gerechnet: Nach der mehrstündigen Aussage des angeblichen Opfers zur brutalen Vergewaltigung in der VG Dierdorf, waren wohl alle Prozessbeobachter einer Meinung: Die Zeugin hat keine Märchenstunde abgehalten, sie hat die Torturen, die ihr von dem Angeklagten zugefügt wurden, auch tatsächlich erleiden müssen.
Symbolfoto: Wolfgang RabschDierdorf/Koblenz. Die Intensität der Aussage beim letzten Verhandlungstag war nicht durch großen Belastungseifer geprägt. Die Zeugin versuchte sogar, die ausgesprochen harten Details der Vergewaltigungen relativ sachlich darzustellen, ohne dauernd von Wein- oder Schüttelkrämpfen geplagt zu werden. Wir berichteten.

Hat das Opfer gelogen und den Angeklagten zu Unrecht beschuldigt?
Gleich zu Beginn der Fortsetzungsverhandlung vor der 12. Strafkammer des LG Koblenz erklärte die Vorsitzende Richterin, dass auf Betreiben von Rechtsanwältin Susanne Hardt, der Verteidigerin des Angeklagten, die Staatsanwaltschaft Koblenz einen Strafregisterauszug (BZR) bezüglich der geschädigten Zeugin eingeholt hat. Der aktuelle BZR förderte einige Überraschungen zutage: Die Zeugin ist mehrfach vorbestraft und steht zurzeit unter laufender Bewährung. Die teils heftigen Tatvorwürfe lauten: Zuhälterei, Förderung von Prostitution, Misshandlung von Schutzbefohlenen, falsche Verdächtigung und uneidliche Falschaussage. Insgesamt stehen ein Jahr und sieben Monate zur Bewährung auf dem Papier, die bereits widerrufen wurde, die Vollstreckung jedoch im Gnadenwege wieder ausgesetzt wurde. Die Verurteilungen wegen Falschaussage und falscher Verdächtigung fanden im Rahmen einer Trennung von ihrem Ex-Freund oder Ex-Mann statt, um bei Gericht Vorteile zu erlangen.

Bevor das Gericht sich eingehend mit der neuen Situation befasste, wurde die Beweisaufnahme mit der Vernehmung von weiteren Zeugen fortgesetzt. Zwei Polizistinnen bekundeten übereinstimmend, dass die Zeugin auf sie einen glaubhaften Eindruck machte, sie hätten keinen Zweifel an den wahrheitsgemäßen Angaben gehabt.

Zeugen mit Erinnerungslücken oder alkoholisiert

Dann waren die Bewohner des Hauses aus der VG Dierdorf am Zuge. Die konnten oder wollten sich nicht so recht daran erinnern, was sich hinter den Kulissen abgespielt hat. Ja, da war mal ein Streit und es haben Türen geknallt. Von sexuellen Übergriffen seitens des Angeklagten habe man nichts mitbekommen. Bei den Aussagen der Besitzerin des Hauses und ihres Sohnes kamen einem sofort die drei Affen in den Sinn, die nichts sehen, nichts hören und nichts sagen. Erst die Androhung einer Strafanzeige wegen Falschaussage half etwas nach. Ja, der Angeklagte habe die Zeugin doch geschlagen, auch wenn ihre Kinder dabei waren, er habe sie auch mal gewürgt, sodass sie ein paar Tage heiser war und kaum sprechen konnte. In dem Haus herrschte Chaos, weil jeder irgendwo lebte und jeder machte was er wollte, aber ansonsten sei alles in Ordnung gewesen.

Nun folgte der „Höhepunkt“ der Verhandlung: Ein weiterer Sohn der Hausbesitzerin torkelte in den Sitzungssaal und nahm erst nach mehrmaliger Aufforderung Platz. Er legte sofort ungefragt los: „Ich bin Alkoholiker und auch jetzt besoffen. Ich bin alleine und ich bin ein Arschloch. Jetzt denken alle, ich wäre ein Idiot, nur weil ich besoffen bin.“ Die Vorsitzende erklärte, dass eine Vernehmung des Zeugen offensichtlich nicht möglich ist, da er nicht in der Lage ist, zusammenhängende Sätze zu sprechen. Gut gelaunt, aber schwankend, verließ der Zeuge den Saal. Eine weitere Zeugin, die nur drei Monate mit dem Angeklagten liiert war, schilderte ihn anfangs als sehr liebevoll, doch bald veränderte er sich ins Gegenteil, wurde gewalttätig und schlug sie sogar vor den eigenen Kindern. Beim Sex sei alles einvernehmlich gelaufen, auch spezielle Praktiken habe sie freiwillig mitgemacht, zum Beispiel, wenn er sie beim Sex fesselte.

Die momentane Lebensgefährtin des Angeklagten beschrieb das Zusammenleben mit ihm in rosaroten Farben. Bis auf kleine „Kabbeleien“ mit ihren pubertierenden Kindern, komme der Angeklagte gut mit ihnen aus. Er sei nicht gewalttätig, auch nicht beim Sex. Sie hätten immer einvernehmlichen Sex, auch Anal- und Oralsex. Die Initiative dazu ginge meistens von ihr aus.

Die Sachverständige erstattete bezüglich der geschädigten Zeugin ein Kurzgutachten. Sie diagnostizierte Medikamentenmissbrauch bei der Zeugin. Die Zusammensetzung der Medikamente würde dafürsprechen, dass sie sich von verschiedenen Ärzten Medikamente verschreiben ließe. Zusammen eingenommen, können die Medikamente Halluzinationen hervorrufen. Bei der Zeugin besteht eine emotionale Instabilitätsstruktur, in Verbindung mit einer hohen Impulsivität. Ihr Suizid-Versuch müsse als Verzweiflungstat oder als Appell zu helfen verstanden werden.

Die Hauptverhandlung wurde unterbrochen, Fortsetzungstermine wurden auf den 6. Oktober, den 27. Oktober und den 16. November bestimmt. Bis dahin sollen die Strafakten bezüglich der Zeugin beigezogen werden und versucht werden die Zeugin zu begutachten, insbesondere im Hinblick auf ihr Aussageverhalten und ihre Glaubwürdigkeit. Wir werden weiter berichten. (Wolfgang Rabsch)
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