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Nachricht vom 11.05.2021
Politik
Womöglich gleich zwei grüne Bundestagskandidaten aus Wahlkreis Neuwied/Altenkirchen?
Mit Dr. Hildegard Lingnau bewirbt sich ein Grünen-Parteimitglied aus dem Kreisverband Altenkirchen um einen aussichtsreichen Landes-Listenplatz bei der Bundestagswahl. Doch Lingnau möchte offenbar nicht als Direktkandidatin ihrer Partei antreten. Das soll der Altenkirchener Kevin Lenz übernehmen. Eine ungewohnte Vorgehensweise.
Dr. Hildegard Lingnau will über die Landesliste ihrer Partei in den Bundestag einziehen. Kevin Lenz soll Direktkandidat werden. (Fotos: Partei-Websites) Region. Nicht erst seitdem die Co-Parteivorsitzende Annalena Bearbock zur Kanzlerkandidatin der Grünen aufgestellt wurde, erlebt die Partei einen Erfolg nach dem anderen. Die K-Frage hat sie im Gegensatz zu CDU und CSU unaufgeregt, ja geradezu bürgerlich entschieden. Doch eine Pressemeldung des grünen Ortsverbands Altenkirchen-Flammersfeld vom vergangenen Wochenende ließ auf eine ungeordnete Vorgehensweise schließen bei der Frage, wer für die heimischen Grünen in den Bundestag einziehen soll.

Darin hatte der Ortsverband seine Unterstützung für die Kandidatur von Dr. Hildegard Lingnau angekündigt. Die ehemalige Grünen-Sprecherin des Kreisverbands Altenkirchen bewirbt sich um den Listenplatz 5 auf der Landesdelegiertenversammlung, die bereits am Samstag, 15. Mai, stattfindet. Was bereits jetzt feststeht: Sie wird keine einzige Erststimme im Wahlkreis Neuwied/Altenkirchen bekommen. Dazu werden die Wähler erst gar nicht die Möglichkeit erhalten. Denn Lingnau tritt nicht als Direktkandidatin an. Das erfuhr der AK-Kurier im Nachgang auf Anfrage von der Co-Sprecherin des Kreisverbands Altenkirchen, Anna Neuhof, sowie von der Sprecherin des Ortsverbands Altenkirchen-Flammersfeld Maria Weller. Das wurde nun auch auf der aktuellen virtuellen öffentlichen Versammlung der Grünen im Kreis Altenkirchen am 11. Mai bestätigt.

Lingnau will über Parteiliste in den Bundestag – Lenz soll Direktkandidat werden

Doch verzichten die Grünen im Wahlkreis Neuwied/Altenkirchen nun auf einen eigenen Direktkandidaten? Nein. Aller Voraussicht nach wird der Name Kevin Lenz auf dem Wahlzettel stehen. Anna Neuhof informierte auf der virtuellen Versammlung darüber, dass ihr Co-Kreissprecher vorgeschlagen wird. Auf einer ähnlichen Veranstaltung des Kreisverbands Neuwied war Lenz bereits als Anwärter auf die Direktkandidatur vorgestellt worden.

Final entschieden wird seine Kandidatur auf einer gemeinsamen Versammlung der beiden Kreisverbände am 26. Mai. Der Co-Sprecher von Neuhof und dritte Beigeordnete der Verbandsgemeinde Altenkirchen-Flammersfeld gehört dem gleichen Partei-Ortsverband
wie Lingnau an.

Theoretisch zwei Bundestags-Kandidaten der Grünen aus dem Kreis Altenkirchen möglich

Theoretisch könnten bei der Wahl im September also zwei grüne Kandidaten aus dem gleichen Kreisverband und Ortsverband in den Bundestag einziehen, nämlich Kevin Lenz als direkt gewählter Abgeordneter und Dr. Hildegard Lingnau über die Parteiliste. Die Betonung liegt allerdings auf „theoretisch“. Denn dazu müssten einige Voraussetzungen erfüllt sein, die teilweise sehr unwahrscheinlich sind – darunter Wahlergebnisse, von denen Grüne auch trotz der derzeitigen Erfolgswelle nur träumen können.

Zwei Entwicklungen können hingegen als sicher angenommen werden.

Erstens: Die Wähler werden am 26. September Kevin Lenz ihre Erststimme geben können. Von einem wahrscheinlichen Gegenkandidaten war auf der virtuellen Mitgliederversammlung keine Rede . Zudem wurde in allen Wortmeldungen zu der Person Lenz klare Unterstützung signalisiert. Kritik wurde allerdings am Verfahren laut. Besonders der ehemalige Landtagskandidat Ulli Gondorf aus Mehren hielt sich hier nicht zurück – dazu später mehr.

Zweitens: Lenz wird kein Bundestagsabgeordneter. Das wurde zumindest mehrmals von Teilnehmenden auf der virtuellen Versammlung vorhergesagt. Dazu müsste er nämlich die Mehrheit der Erststimmen gewinnen, was nicht nur im heimischen Wahlkreis als sehr unwahrscheinlich gilt für Kandidaten der Grünen in Rheinland-Pfalz (, mit Ausnahme des Wahlkreises Mainz).

Lenz soll Jungwähler überzeugen

Allerdings erklärte die Co-Sprecherin des Kreisverbands Altenkirchen Neuhof auf der virtuellen Mitgliederversammlung, dass man sich von dem Direktkandidaten Lenz (Jahrgang 1990) Anziehungskraft auf jüngere Wähler verspricht. In dieser Zielgruppe könnten die Grünen tatsächlich am meisten Chancen haben, Stichwort „Fridays for Future“. Auch Ulli Gondorf äußerte sich zu einer möglichen Zugkraft des Kandidaten: „Natürlich werden wir hier nicht gewinnen, aber wir wollen doch 10, 15 oder 20 Prozent.“

Trotzdem könnte bei der nächsten Bundestagswahl mit Dr. Hildegard Lingnau ein Grünenmitglied des Kreisverbands Altenkirchen in den Bundestag einziehen. Dies ist allerdings mit weit mehr Unwägbarkeiten verbunden als die wahrscheinliche Direktkandidatur von Lenz.

Zurzeit stellen die rheinland-pfälzischen Grünen drei Bundestagsabgeordnete. Angesichts der aktuellen Umfragewerte ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass diese Zahl auf fünf bis sechs Mandate anwachsen könnte, wie die Co-Sprecherin des Kreisverbands Altenkirchen, Anna Neuhof, dem AK-Kurier erklärt hatte. Der Listenplatz 5, den Lingnau anstrebt, könnte also ausreichen für den Einzug in den Bundestag. Vor diesem Hintergrund ist es keine Überraschung, dass hier mehrere Bewerber antreten, wie sie dem AK-Kurier via Whatsapp darlegte. Sollte sie im Wettbewerb um den von ihr favorisierten Rang auf der Wahlliste verlieren, lässt sie offen, ob sie auch für untere Positionen kandidiert, antwortete sie dem AK-Kurier auf Nachfrage. Dies hänge unter anderem von den Wahlergebnissen ab.

Lingnau keine Unbekannte

Bei vergangenen Wahlen war Lingnau bereits als Direktkandidatin bei Bundestagswahlen und als Kandidatin für das Europäische Parlament angetreten. Seit 30 Jahren widmet sie sich laut Selbstauskunft der internationalen Zusammenarbeit, seit zweieinhalb Jahren arbeitet sie nach diversen Berufsstationen im Ausland in Palästina als „Deputy / Acting Country Director“ für das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen. Vor diesem Hintergrund liegt ihr Wunsch nahe, im Falle eines Einzugs in den Bundestag Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und im Auswärtigen Ausschuss zu werden. Auf der virtuellen Mitgliederversammlung des Kreisverbands Altenkirchen hatte sie sich zusammen mit anderen Listenkandidierenden innerhalb eines kurzen Zeitrahmens vorgestellt und musste sich danach wieder in die nächste Videokonferenz eines anderen Grünen-Kreisverbands verabschieden.

Unter den Kontaktdaten auf der Parteiseite der Kandidatenvorstellungen gibt sie Adressen in Jerusalem und Mammelzen an. „Wenn ihr mir einen guten Listenplatz am Samstag gebt, dann kann ich natürlich auch physisch hier sein“, so Lingnau in ihrer Kurzvorstellung. Die Voraussetzung wäre natürlich, dass Straßenwahlkampf in Corona-Zeiten möglich ist.

Dass sich die Weltbürgerin zu einer Bewerbung entschieden hat, begründete sie auch mit den Pandemie-bedingten Umständen. Der letzte Landtagswahlkampf konnte immerhin schon hauptsächlich über das Internet stattfinden.

Kreisvorstand Altenkirchen erfuhr erst spät von Lingnaus Bewerbung

Bleibt die Frage, wieso Lingnau nicht auch in den Kampf um die Erststimmen einsteigen will. Laut Kevin Lenz sei sie nach der Einreichung ihrer Bewerbung gefragt worden, ob sie nicht auch als Direktkandidatin antreten wolle. Sie habe allerdings geantwortet, „dass sie zu dem Zeitpunkt vermutlich gar in Deutschland ist“. Offenbar wurde der Kreisverband auch eher kurzfristig über Lingnaus Bewerbung informiert. Das wurde im späteren Verlauf der Videokonferenz deutlich, in dem die Mitglieder über mögliche Strategien berieten, wie auf andere Kreisverbände eingewirkt werden kann, Lingnaus Bewerbung zu unterstützen. Ulli Gondorf hatte dies gefordert. Tatsächlich hatte es laut Kevin Lenz mehrere Gespräche mit anderen Kreisverbänden gegeben. Bereits im vergangenen Jahr habe man damit angefangen.

Direkt nach der Landtagswahl im März hätten die Absprachen an „Fahrt aufgenommen“. Doch hatte man Lingnaus Kandidatur nicht in die Gespräche einbringen können. „Nur wussten wir ja nicht, dass wir eine Listenkandidatin haben“, so Lenz – worauf Gondorf entgegnete: „So ist nun mal Politik. Da passiert etwas Unverhofftes. Da müsst ihr neu verhandeln.“ Lenz und seine Co-Sprecherin kündigten vor diesem Hintergrund an, ihre „Fühler weiter auszustrecken“. Allzu große Hoffnung konnten sie allerdings nicht machen.

Kreisverband Neuwied fand keinen Kandidaten aus eigenen Reihen

Gondorf war es auch, der auf der Videokonferenz Kritik übte an dem Verfahren rund um den Vorschlag, Lenz als Direktkandidaten aufzustellen. Er betonte zwar seine Unterstützung für den „Star der Zukunft“ (Gondorf), verurteilte aber, dass die Mitglieder die Neuigkeit so kurzfristig „hier mal zum Schluss erfahren“. Darauf entgegnete Neuhof, dass der Vorschlag erst vor Kurzem auf einer gemeinsamen Sitzung mit dem Vorstand des Kreisverbands Neuwied festgezurrt worden sei. Lenz selbst erklärte, dass er vor eineinhalb Wochen von einer Kandidatur überzeugt worden sei – und zwar vom Kreisverband Neuwied. Denn eigentlich hätten die Grünen aus dem Nachbarkreis einer ungeschriebenen Regel zufolge das erste Zugriffsrecht gehabt, seien allerdings nicht fündig geworden in den eigenen Reihen, wie Anna Neuhof zuvor sagte. Also wurde Neuhof gefragt, die allerdings ablehnte. Daraufhin hätten die Neuwieder „Kevin bearbeitet, wie man jemanden bearbeitet, den man unbedingt für was haben will“.

Nun nutze man die virtuelle Versammlung und verbreite die „taufrische“ Neuigkeit zeitnah unter den Mitgliedern. Das Mitglied Claudia Leibrock brachte Gondorf schließlich zum Einlenken, indem sie die wahrscheinliche Direktkandidatur von Lenz als „schöne Lösung“ bezeichnete. Gondorf zeigte sich daraufhin versöhnlich, stimmte zu und dankte ihr für „deine konstruktive Wendung“.

Trotz mancher Unstimmigkeiten bleibt der Eindruck einer Versammlung, die vor allem Gemeinsamkeiten hervorhob, wie Aussagen von Lingnau und die Schlussstatements verdeutlichten. Neuhof betonte, sie habe „echt Bock, Wahlkampf zu machen“. Gondorf gab sich ebenfalls motiviert: „Lasst und da ruhig Gas geben!“ (ddp)

Weiterführender Link:
Hier stellt sich Dr. Hildegard Lingnau in einem ausführlichen Bewerbungstext vor.
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